steirischer herbst 2007
Der Standard - 01.10.2007
Märsche und andere Ordnungsillusionen
Mathilde Monnier zeigte ihre Arbeit "tempo 76" im Rahmen des steirischen herbstes im Grazer Schauspielhaus.

Zum ersten Mal außerhalb Frankreichs und überhaupt erst zum vierten Mal zeigte eine
der bedeutendsten Erscheinungen der Gegenwarts-Choreografie, Mathilde Monnier, ihre jüngste
Arbeit tempo 76 beim steirischen herbst im Grazer Schauspielhaus. Es ist ein leichtes,
humorvolles Stück geworden, das durch einen spielerischen Ansatz überzeugt und sich mit
Synchronizität - der Gleichzeitigkeit - von Bewegungen beschäftigt. Was im Showtanz über
Exaktheit imponiert und im Ballett meist dem Hervorstreichen einer Solofigur dient, aber auch
dem militärischen Marschtritt verwandt ist, wird von Monnier einer kritischen Analyse unterzogen.

Für Systeme disziplinierender Koordination von Menschen ist, wie etwa 1927 von Fritz Lang in
seinem Film Metropolis so schön choreografisch dargestellt wurde, die Gleichrichtung von
Bewegungen oder Handlungen von entscheidender Bedeutung. Deren hochpolitischen Diskurs
mischen Monniers elf Tänzerinnen und Tänzer auf: jedoch nicht karikierend, sondern
konterkarierend. Zur Musik György Ligetis - mehrheitlich Stücke für Klavier - werden kleine
Wunder des Unisono vollbracht, aber nur, um sie wieder in individuelle Handlungen zerfallen zu
lassen.

Kunst und Arbeit
Kunstwerke der Gleichschaltung von Tänzern - wie Riverdance oder einst die Filmperlen von
Busby Berkeley - faszinieren ein breites Publikum. Denn derlei Koordination bedeutet
Schwerstarbeit - die Mischung aus Kunstfertigkeit und Offensichtlichkeit befriedigt vielerorts eine
Leidenschaft für das virtuose Ornament. Sein Rhythmus heißt Beherrschung und sorgt für
aufregende Ruhe.

Die Identifizierung des Ornaments als Verbrechen durch Adolf Loos ist nicht nur das Signal des
Aufbruchs in die Moderne, sondern überdies Zeichen für ein weiteres disziplinierendes Stereotyp,
gegen das die Postmoderne seit Jahrzehnten vielstimmig Einspruch erhebt. Was auch in tempo
76 deutlich zu sehen ist.

Hier repräsentieren die Tänzer ganz unterschiedliche Typen und weisen in ihrem Auftreten stets
auf Differenzen hin, ob sie nun hingebungsvoll tanzen, Stummfilmszenen simulieren oder eben
nur fast dieselbe Kleidung tragen. Immer steht die Verschiedenheit im scheinbar Gleichen zur
Debatte: im parallelen Weinen und Lachen, im gleichzeitigen Stakkatogesang oder im
Voneinanderabweichen der Krawattenfarben.

So werden verschiedene Methoden des Aus-der-Reihe-Tanzens vorgeführt. Dabei lässt es
Monnier an Klarheit nicht fehlen. Virtuoses Sicheinfügen mag zwar Bewunderung erzeugen, doch
jedes überraschende Ausbrechen rührt an unser Lustzentrum der Rebellion. Es reizt zum
anarchischen Lachen.

Monniers Tänzer reizen das Feld zwischen Entgleisung und Ausbruch weiträumig aus. Und
nicht nur sie brechen aus, auch der auf der Bühne ausgelegte Naturrasen enträt seiner
Golfwiesen-Getrimmtheit. Er wirft sich an verschiedenen Stellen auf, bis am Ende Luftballons aus
ihm wachsen und mit trockenem Knallen zerplatzen. Ein kluges Statement der 48-jährigen
Künstlerin, die es wieder einmal hervorragend versteht, konzeptuelle Strategien mit Witz und
Sinnlichkeit auf die Bühne zu bringen.

Helmut Ploebst



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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