steirischer herbst 2007
Falter - 17.10.2007
Bei Pakeschs Parkett!
HERBST-TAGEBUCH IV Kunst und soziale Praxis - das geht oft ordentlich schief. Aber nicht immer. Drei Fallbeispiele zum herbst-Ende.

10.10.2007 Es hat eine Weile gedauert, bis die Premierengesellschaft nach der Uraufführung von Gerhild Steinbuchs Stück "verschwinden" im Brandhof in Partylaune kam.
Schuld daran waren die an sich todernste Thematik des Stücks, der Kärntner-Chor, der - obwohl in der letzten Szene ganz klar gemeuchelt - auch noch im Gasthaus mit Singen fortfuhr, vor allem
aber die todunglückliche Jungautorin, deren Stück gerade von Jungregisseur Roger Vontobel verzappelt, ver"Sims"t und verkaspert worden war. Steinbuch hat sich diese Woche
konsequenterweise ins Schloss Solitude nach Stuttgart zurückgezogen, wo sie die nächsten Monate hoffentlich nicht allzu einsam Neues schöpfen wird. Alles Gute!

Abschied nehmen hieß es dann auch von Anita Fuchs und Resa Pernthaller, die zum letzten Mal in ihre mit Brettern gebaute Sozialutopie am Mariahilferplatz luden. Alle Roma-Musiker, die in
den Vorwochen aufgespielt hatten, waren wieder gekommen und tauschten am Lagerfeuer mit den übrigen Gästen großzügig Musik und Geschichten aus Rimavska Sobota, Hostice und der Grazer Herrengasse, wo viele von ihnen tagsüber betteln. Eine derartige Melange hat die Stadt noch nicht erlebt. "Politik der Zugehörigkeit" - so der Untertitel der "Volksgarten"-Schau des Kunsthauses, in deren Rahmen die Sache lief - war hier tägliche Verhandlungsbasis. Dass darin manch einer "Voyeurismus" ortete, daran war der tatsächlich doofe Pressetext schuld.

11.-12.10.2007 Beim zweiten "Volksgarten"-Projekt im öffentlichen Raum, der Nomadenkommune airtrain, war das genau umgekehrt: schlauer Pressetext, deprimierende Praxis. Statt visionärer Community-Modelle war auf der Kickwiese des härtesten Parks der Stadt eine verschlafene Gemeinschaft in Auflösung zu beobachten, deren Mitglieder irgendwann einmal an irgendwas geglaubt haben, an Rudolf Steiner vielleicht oder an Buckminster Fuller. Vielleicht sogar an die Kunst. Übrig geblieben ist davon nur Sperrmüll. Ein Beispiel: Oberkommunarde Dominik Ziliotis hat den entsorgten Holzboden der Kunsthalle Basel aus dem Müll gekramt und den Kindern in seinem tatsächlich eleganten Dom zum Spielen angeboten.
Pakeschs Parkett! Mittags gab's hier Selbstgekochtes, abends Filme, Musik und echt traurige Diskussionen. Vom Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn ist vom Eröffnungsfest im Volksgarten der Satz überliefert: "Ich hasse Partizipation." Hat schon was.

13.-14.10.2007 Kunst und soziale Praxis, die Dritte: Den aufwendigsten theoretischen Überbau hat das "International Festival"-Kollektiv erarbeitet, um "The Theatre", das diesjährige
Festivalzentrum des steirischen herbst am Karmeliterplatz, auf solide Fundamente zu stellen. Zum vorangegangenen einjährigen Diskussionsprozess war plötzlich auch eine 150-Seiten-Doku im schicken Do-it-Yourself-Kopierstil erhältlich. Erhellend, was da über Gastfreundschaft, Coolness und Öffentlichkeit im Spätkapitalismus zu lesen ist! Aber die grundsätzliche Ambivalenz des Projekts zwischen Anspruch (Architektur und Theater als Performance statt Präsentation) und Wirklichkeit (Ikea meets "Studio 54"), die blieb bis zuletzt.

Tor Lindstrand, Mårten Spångberg und Freunden ist dabei hoch anzurechnen, dass sie vier Wochen lang Tag und Nacht gegen diese Ambivalenz Sturm gelaufen sind, mit präziser Dramaturgie, viel Trockennebel, Toastbrot, Konfetti und Schnaps und dabei vermutlich mehrere Jahre Lebenszeit eingebüßt haben. Großes Finale am Samstag, als Herr Manfred, der legendäre Chef der Fuchs-Bar im Ruhestand, gemeinsam mit herbst-Intendantin Veronica Kaup-Hasler gut 500 Kalaschnikows mixte und unter die "Theatre"-Gäste brachte. Torte, Tränen, Ausdruckstanz.
Ruhiger Ausklang beim "Last Brunch" am Sonntag. Insgesamt ein sehr schönes Experiment, keine Toten.

Das Schlusswort soll Emil Breisach haben, zu dessen Gedichten Friedrich Cerha jüngst sein "Aderngeflecht" komponierte: "Löse dich / da es nun endet / löse dich von dir selbst".

Thomas Wolkinger



20/09 - 14/10/2007
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