steirischer herbst 2007
Falter - 17.10.2007
Das große Glück


"Nahe genug" - das ging gut rein als Motto für den steirischen herbst, der heuer seinen vierzigjährigen Bestand feierte. Obwohl, gefeiert wurde eigentlich mehr sein fortwährender Bestand als Festival an sich, weniger seine vierzigjährige Geschichte. Damit da keine retrograde Stimmung aufkomme. "Nahe genug" - das hat man jedenfalls schnell verstanden. Wer "dick und dünn" kapiert, weiß auch, was mit einem performativen "Zustand in der Zeit" gemeint ist, einem "Moment vor der Katastrophe oder dem Glück". Beinahe ein wenig übereifrig haben sich heuer die Kooperationspartner des Festivals dem Motto untergeordnet und damit in ihren Programmen gespielt. Es passt ja auch immer: auf den globalen Handel ("Un/Fair Trade") ebenso wie auf das
Verhältnis von Schriftsteller und Leser ("Hausbesuche") oder auf Pornografie und Postkommunismus ("Zwischen Knochen und Raketen"). Es passt so gut, dass es am Ende so gut wie jeder Bedeutung entleert ist. Close enough? Feel good!

Egal, so ein Motto ist eine Notwendigkeit. Wichtiger ist das Programm, das im herbst ja immer originär, experimentell, international relevant, lokal produziert und zur gleichen Zeit möglichst massentauglich sein muss. Dieser unmögliche Spagat ist heuer so gut wie lange nicht gelungen. Auch wenn man sich manchmal gewünscht hätte, dass er ein wenig mehr Schmerzen bereitet hätte. Das Festival war dramaturgisch ausnehmend gut gebaut, "The Theatre" hat als Sozialkatalysator und Festivalzentrum um ein Vielfaches besser geklappt als das Künstlerhaus im
vergangenen Jahr, und die am herbst beteiligten Kunstinstitutionen boten durchwegs sehr gute (Camera Austria, Neue Galerie, Kunsthaus) bis herausragende Qualität (musikprotokoll). Im
Theater, der Kernkompetenz der Intendantin, gab's mit dem Nature Theatre of Oklahoma, Lola Arias, Theater im Bahnhof oder Tim Etchells nachgerade Atemberaubendes. Und Tanz muss
man eben mögen. Vielleicht nicht in dieser Dosierung.

Freilich, die List-Halle, einst auch für den herbst konzipiert, hat Kaup-Hasler heuer kaum mehr bespielt. Zur Eröffnung, als sie es doch musste, ging's schief. Die "freie Szene" der Stadt, die im
Vorjahr noch im Künstlerhaus nervte, aber auch im Forum Stadtpark experimentierte, war diesmal nur punktuell und sehr kontrolliert ins Programm integriert. Außerhalb von Graz stand weniger denn je am Programm, eine frühe Nebenwirkung der neuen "Regionale". All das schont Intendanten-Nerven, nimmt dem herbst aber ein wenig von seiner Unberechenbarkeit.

Dass nicht noch mehr lokale Produktionen im Hauptprogramm zu sehen waren, ist aber schwerlich dem Festival vorzuwerfen, sondern hat mit dem Produktionsstandort Graz zu tun. Hier dünnt es aus, und das sollte mehr Anlass zum Grübeln geben als die Frage, ob der herbst gar in die Jahre gekommen sei und sich zusehends den Wiener Festwochen annähere. Tut er nicht, kann er mit seinem traurigen Budget auch nicht. Von den Sonderdotierungen des Landes abgesehen, allesamt von der Neuen Galerie und den Jubiläumsprojekten verschlungen, hat das
Festival heute ebenso wenig Geld wie im Jahr 1996. Das ist nicht optimal, nicht einmal "nahe genug" und als performativer Zustand in der Zeit näher an der Katastrophe als am Glück. Wie man dem Unglück vielleicht entkommt, will der herbst nächstes Jahr erforschen. Leichter ging's mit einer Extra-Million.

Thomas Wolkinger



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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