steirischer herbst 2007
Der Standard - 02.10.2007
Was sich alles so ergeben kann


Im Grazer Orpheum machte im Rahmen des steirischen herbstes der "Schwarzmarkt für
nützliches Wissen und Nicht-Wissen" von Hannah Hurtzig Station: Vier Stunden Gespräche
zwischen Experten rund um den Themenkomplex der "Gabe" und teilweise erstaunlich
sattelfesten Laien wurden zu einem atmosphärisch dichten Ereignis.

Dieser Abend ist ein Geschenk. Und das zunächst einmal im durchaus wörtlichen Sinn,
zumal die "Installation mit 100 Expertinnen und Experten" von Hannah Hurtzig bei freiem Eintritt
stattfindet, jener "Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen", der seit dem Jahr
2005 in verschiedenen Städten Station gemacht hat und nun zum ersten Mal nach Österreich
gekommen ist.

Der Grundgedanke ist dabei ebenso schlicht wie bestechend: Zu immer anderen Themen
versammelt die Kuratorin und Spezialistin für vernetzte Kommunikationsformen von der Berliner
Mobilen Akademie an unzähligen kleinen Tischen Fachleute auf mehr oder weniger nahe
liegenden Gebieten, mit denen man für jeweils eine halbe Stunde ins Gespräch kommen kann.
Dann rücken andere Personen nach, und wer keinen der begehrten Plätze ergattert hat, kann
sich über Funkverbindung in einzelne Unterhaltungen einklinken. Weil aber nun einmal das, was
nichts kostet, nichts wert ist, bezahlt man für ein Expertengespräch an einem der Tischchen einen
Euro.

Da es sich freilich um einen Schwarzmarkt handelt, ist dies nur ein Nominalpreis: Bei erhöhter
Nachfrage wird eine Auktion gestartet, und der Preis klettert schlagartig in die Höhe. Auch in
anderer Form als mit Geld kann durchaus ein Ticket erstanden werden, zuweilen werden die
allesamt weiblichen Händlerinnen auch richtig unverschämt und verlangen freche Summen. "Wir
sind alle bestechlich!", rufen die als Stewardessen verkleideten Schauspielerinnen, die den
Handel abwickeln, ins Gedränge jener, die einen Experten zu buchen versuchen, und für Insider
hat es vorab die Möglichkeit gegeben, sich an den Warteschlangen vorbeizuschwindeln. "Da
gelten andere Regeln."

Vierzig Gabentische
Das für den steirischen herbst vorbereitete Thema "Die Gabe und andere Verletzungen des
Tauschprinzips" passt auf Graz besonders, erinnert es doch an einen, sagen wir, speziellen
Umgang mit Bettlern, die trotz rigoroser Regelungen immer noch das Stadtbild mitprägen, nun
aber in besonders demütiger Haltung das Verbot "aggressiven" Bettelns zu umgehen versuchen.
Das Dilemma der Vorbeigehenden bildet indes nur einen Sonderfall aller Situationen, in denen
Geschenk oder Gabe zunächst einmal ein Ungleichgewicht herstellen. Georges Bataille oder
Jacques Derrida, aber auch schon Siegmund Freud waren dem Problem bereits auf der Spur,
das im an sich ja spendenfreudigen Österreich vielleicht eine besondere Brisanz besitzt. Denn
sowohl für Charityveranstaltungen als auch für das freundschaftserhaltende Geschenk gilt, dass
im Grunde keine Gabe ohne Gegenleistung erbracht wird, auch wenn diese meist jenseits des
Materiellen stattfindet.

Zwar geht es bei der Gabe in der Regel nicht um einen ökonomischen Tausch, sondern eher
um einen symbolischen, gleich, ob man ein Lächeln als Dank erwartet oder sich gegenüber dem
Empfangenden - in welcher Form auch immer - symbolisch erhöht, sei es bewusst oder
unbewusst.

Antiker Marktplatz
In größerer oder geringerer Nähe zu diesem Kern des Themas kreisten die Gespräche in Graz
um die Bedeutung der Gabe in den verschiedensten Kulturen, etwa im arabischen Raum, in
Subkulturen, in Literatur, Musik, Kunst, Comics und Filmen - mit Fachleuten von der
Bundesministerin bis zum Bettler, vom Mathematiker bis zur Millionenshow-Gewinnerin, vom
Priester bis zur Performance-Künstlerin. Dass währenddessen besonders fröhlich den leiblichen
Genüssen gefrönt wurde, womit man letztlich doch wieder das Tauschprinzip integrierte, wirkte
dabei nicht einmal als besonderer Widerspruch. Und das war nur eine der Merkwürdigkeiten des
Abends: ein Setting, das sich zunächst überhaupt nicht nach einem Kunstprojekt, sondern eher
wie ein modern ausdifferenziertes Nachbild des antiken Marktplatzes als Ort des Diskurses und
Handels anhörte, wurde dem Alltag enthoben, entwickelte eine konzentrierte, offene,
kommunikative Atmosphäre. Was sich alles so ergeben kann, wenn man die Gabe besitzt, es
annehmen zu können.

Daniel Ender



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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