steirischer herbst 2007
Die Presse - 01.10.2007
Kollektives Zehenzupfen, schräges Theater
Monniers Ballett blieb blass, das Theater im Bahnhof trieb es bunt.

Verstreut besiedelt ist das Grazer Schauspielhaus. Die Bühne fast leer beim tonlosen Beginn
von "tempo 76". Allmählich kriechen auf dem grünen Rasenboden vier Tänzerinnen und fünf
Tänzer in Jeans und weißen Hemden mit Krawatten daher, bis alle Neune in synchroner
Eintracht auf der virtuellen Wiese liegen. Gleichgeschaltet in Mimik, Gestik, beim Rennen,
Springen, Zehenzupfen, als stimmloser Chor und beim kollektiven Lachen und Weinen.

Mathilde Monnier, die das Nationale Choreografie-Zentrum in Montpellier leitet, geht es um das
bei Cheerleadern, Paraden und im klassischen Ballett beliebte, im zeitgenössischen Tanz
verpönte Unisono. Dass die Gruppe nicht wie ein mobiles Tapetenmuster einen Star dekoriert,
sondern Eigendynamik hat, verleiht dem Experiment Reiz. Den vermittelt noch weit stärker Györgi
Ligetis mal leichte, dann dissonante, zwischendurch asiatisch anklingende, vom Klavier geführte
und von Sirren, Prasseln und Trommelfeuer gebrochene Musik. Eine schillernde Komposition, wie
die Welt und die Natur, mit der die Tänzer in Einklang stehen möchten, die aber zum unfassbar
Fremden geworden ist.

Eindringliche Momente der Ratlosigkeit, Angst, der harmonischen Verschränkung, Effekte wie
aufbrechende Maulwurfshügel im Rasenteppich sind rar. Der Musik unterlegen, bleibt der
Ausdruckstanz allzu äußerlich und damit fatal nahe am ironisierten Revueballett. Eine recht laue
Jubiläumsdarbietung zum 40er des "steirischen herbst". Komik am Rande: Man sprach
Französisch in dem als "deutschsprachige Erstaufführung" ausgewiesenen Tanzabend.

Wilde Kopulationsspiele
Szenenwechsel von der Indoor-Wiese ins gemähte Maisfeld auf den Reininghaus-Gründen, wo
das Theater im Bahnhof bis 9. Oktober "Zwischen Knochen und Raketen" - "Ein Theaterstück von
weltpolitischer Dimension" - gibt. Wie bei ihrer "herbst"-Produktion 2005 kommt die Sprache aus
dem Off, während die fünf Akteure unter der Regie von Helmut Köpping die Publikumsblicke auf
sieben Hektar Land lenken und in die Wohnung einer Pornofilm-Diva (Gabriela Hiti), die eine
Kollegin (Elisabeth Holzmeister) bewirtet. Der Gag zieht. Ebenso die nach postkommunistischen
Ländern benannten Gigazimmer und die drei während wilder Kopulationsspiele am Feld über
Kasachstan und Aserbeidschan quasselnden Multi-Kulti-Liebhaber.

Der Verkehr auf angrenzenden Straßen stoppte. Belustigend für die weit weg auf einer
Feldtribüne sitzenden Zuschauer. Eine schräge Quatschgeschichte über intime Nähe und weite
Reisen vom TiB, das weder sich noch den Rest der Welt tierisch ernst nimmt.

Elisabeth Willgruber



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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