steirischer herbst 2007
Falter Steiermark - 10.10.2007
Mao sei Punk
Die Doku "Beijing Bubbles" folgt fünf Pekinger Bands durch ihren Alltag. Car-sick Cars machen auf Sonic Youth. Und das alles an einem Abend im steirischen herbst.

Pink Elvis talks about human rice", singen sie in einem ihrer Stücke, die Gitarren lärmen, so
schön könnte die Welt sein: Ein pinker Elvis spricht über Menschenreis. Oder sie singen etwas
anderes, auch egal, vom Rest des Textes versteht man gar nichts, und Englisch ist nicht ihre
Muttersprache. Die Rede ist von Car-sick Cars, jener Band, über die im Ö1-Kulturkalender steht:
"Ihre Auftritte sind Explosionen." Der pinke Elvis detoniert wieder einmal in Österreich, denn das
beherzt auf die eigenen Schuhe starrende Trio spielt am Samstag im Rahmen des "Club Große
Freiheit Nr. 5" in der ehemaligen Medienfabrik, bestritt im Vorprogramm von Sonic Youth aber
auch schon deren diesjährige Europatour, gastierte also im Sommer in Wien. Und es lässt sich
zweifelsfrei sagen, dass Car-sick Cars zu den besten achtzig Vorbands zählt, die Sonic Youth je
hatte, Nirvana inklusive. Übrigens auch zu den epigonalsten.

Wo anderswo die Nicht-Ostküsten-Abkunft bei musikalisch verspäteter Nachstellung den Ruhm
jedoch nicht wirklich mehrt, gereicht sie Car-sick Cars zum Vorteil: Mögen sie auch haarklein so
klingen wie Sonic Youth Mitte der Achtziger (ohne allerdings die Unberechenbarkeit einer Kim
Gordon), sind sie doch keine Epigonen, sondern - Chinesen. Und so unsinnig das auch sein mag,
man fühlt sich verpflichtet, wohlwollender hinzuhören, wenn Chinesen sich rockig-verdrogt ihrem
großen Vorbild sehr nahe fühlen; zumal es schlechtere Vorbilder gibt.

Die Pekinger Jungs quetschen also hübsche Melodien und greinenden Feedbacklärm aus
kurios gestimmten Gitarren, siehe "Daydream Nation", und irgendwann wird doch undeutlich eine
eigene Ästhetik spürbar. Gut, dieses musikalisch dichtmaschige Webgut kleidet seit Dekaden
existenzielle Probleme; die existenziellen Probleme chinesischer Untergrundbands jedoch
schmecken leicht anders. Und während hierzulande schon der x-te Maturantenjahrgang erleben
darf, dass Punk gesellschaftspolitisch versagt, ist das für China ja noch lange nicht gesagt.

So ungefähr lässt sich das jedenfalls mit "Beijing Bubbles" nachempfinden. Weniger
Dokumentation als Homemovie und schon bei den Wiener Festwochen mit Aufmerksamkeit
bedacht, begleiten da die deutschen Journalisten George Lindt und Susanne Messmer fünf
Pekinger Punkbands durch deren Alltag. Eine dieser Bands, Hang On The Box, war ursprünglich
ebenfalls für Samstag avisiert; für sie springt nun das Berliner Ravepop-Duo Tyskerhar ein. Deren
Sängerin Mao Dou Mao stammt zumindest aus Peking, der Entwurf des Abends hält also
irgendwie. Um Hang On The Box, drei kompetent nach Riot Grrrls-Rezept eingerichtete
Frauenzimmer, ebenfalls aus Peking, darf man dabei aber durchaus trauern. Live dehnen sie ihr
Konzept gerne auch in Richtung Performance. Drei Alben hat das Trio veröffentlicht, das letzte,
"Di Di Di", schon mit durchwegs englischen Texten. Man weiß ja nie, wo der Hype mal hinweht.

Car-sick Cars, wie auch die "Beijing Bubbles"-Bands, sind Teil einer Szene, die - mit aus
Europa und den USA überlieferten Gesten - gegen die Turbokonsumgesellschaft der
erwachsenden Wirtschaftsmacht China anlärmt. Für diese Prämisse allein ließe sich sicher ein
griffiges Label formulieren, irgendwas mit "post-" dürfte es werden, und mit ein wenig Spin
womöglich auch gar nicht schlecht daran verdienen. Nur dass der Vorwurf, dass sich da wieder
einmal Bands gegen ein System stellen, von dem sie gerade durch diese Auflehnung profitieren,
hier nicht aufgeht. Einnahmen durch CD-Verkäufe fallen aufgrund der chinesischen
Raubkopierkultur kaum ins Gewicht; die bei Konzerten verdiente Gage reicht meistens gerade für
ein Essen und die Fahrt nach Hause.

Und das Zuhause, so "Beijing Bubbles", gibt dabei das Zentrum eines Wollens, das sich vor
allem um die Verweigerung von Konsumzwang und Leistungsdenken dreht. Ein fast total
kategorisches Nein wird da gebrüllt, für das es aber erst die Schaffung einer eigenen Kapsel,
dieses Zuhause braucht. Es regiert das Wirtschaftswunder, und das hat in seinem Erfolgsmodell
eben keine subkulturellen Nischen vorgeplant. Manche, wie etwa Yilina, Bassistin von Hang On
The Box, lassen sich ihren Punk folglich von den Eltern finanzieren. Man ist geneigt, dem zu
applaudieren: Eine Generation, die statt Stones oder Sex Pistols nur Mao hatte, sponsert die
Widerstandsleistung der Kinder. Und die ist durchaus geeignet, das vielleicht bei den kürzlich
weggeräumten China-Ausstellungen entstandene Bild zu erweitern, klingt bunt, wild, besoffen.
Und auch nach großer Freiheit.


Christof Huemer



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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