steirischer herbst 2007
Der Standard - 04.10.2007
Verheiratet mit drei Viktors
Das Theater im Bahnhof lockt zu "Zwischen Knochen und Raketen" auf ein Kukuruz-Feld

Zuschauer mussten reihenweise weggeschickt werden, weil der Platz für sie nicht reichte. Eine
Tatsache, von der Off-Gruppen generell nur träumen können. Das Theater im Bahnhof (kurz: TiB)
hat es dennoch so weit gebracht. Eine von nichts und niemandem zu überbietende
Mundpropaganda hat in den vergangenen Jahren immer wieder Publikumsscharen auf den
Grazer Lendplatz getrieben. Weil dort die furchtlose Frechheit regierte. Weil dort das
herzergreifende Impro-Geschehen ("Sport am Montag") regelmäßig seinen unheilvollen Lauf
nahm.

Am Lendplatz hatte das seit über fünfzehn Jahren existierende, aus überaus sympathischen
und um nichts weniger eigensinnigen jungen Menschen bestehende TiB sein Quartier
unterhalten.

Vor eineinhalb Jahren sind die fünfzehn Theatermusketiere rund um die Regisseure Ed.
Hauswirth, Monika Klengel und Helmut Köpping wieder unter die Vaganten gegangen und
betreiben ihr Theater nun an wechselnden Spielstätten bzw. im öffentlichen Raum. Um in
Bewegung zu bleiben, aber auch, weil der Mietvertrag auslief.

Dass sie sich im Kollektiv um die Intendanz des Wiener Volkstheaters in der Nachfolge Emmy
Werners beworben haben, ist kein Geheimnis. Und auch, dass sie sich sonst klug Platz und
Gehör zu verschaffen wissen. Fernsehauftritte wie die naturgemäß lebhafte und ungehobelte
Moderation von Michael Ostrowski bei der Nestroy-Gala 2003 haben schließlich auch
Werbeeffekt. Ebenso die Filmauftritte einzelner Schauspieler ("Kotsch", "Slumming" oder
"Nacktschnecken"), die das freilich immer wieder ironisierte Starprinzip gewissermaßen ins
Theater rückführen. Recht so.

Der Glanz der wilden Jahre erreichte durch Elfriede Jelinek seine größte Wirkkraft. Just dem
Theater im Bahnhof hatte die dann kurze Zeit später zu Nobelpreis-Ehren gekommene
Schriftstellerin ihr bis dahin in Österreich verbotenes Skandalstück "Burgtheater" überantwortet.
Eine Tatsache, die auch überregional hellhörig machte und den Ruf der Grazer Weltberühmtheit
mitfestigte. Das künstlerische Ergebnis wurde allerdings weniger akklamiert.

Alles begann anno 1989 im so genannten Jugendwartesaal des Grazer Hauptbahnhofs, als ein
Schippl frisch gebackener Maturanten nicht mehr an sich halten konnte und beschloss, das
Leben von der Straße auf die Bühne zu bringen. In dieser Grundintention sind sich die TiBler bis
heute treu geblieben. Sie saugen auf, was im Leben an ihnen vorüberzieht, und das kann auch im
Aktionismus enden, wie vor einem Jahr die moderierten Live-Telefonate mit Politiker im Vorfeld
der Nationalratswahl.

Hinaus ins Maisfeld
Die TiB-Arbeiten legen politische Strukturen im Privaten frei oder definieren vorgefundenen
urbanen Lebensraum als politischen, wie beispielsweise kürzlich in "Gries Connection", einer
Audiotour, die anhand einer Tonspur durch nämlichen, den vorgeblich gefährlichsten Bezirk von
Graz führte. Oder im letzten Jahr: "Sue Ellen live! Ich bin neu im politischen Handeln" , ein als
dilettantisches Rock-'n'-Roll-Konzert getarnter Wutausbruch einer Frauenband, der in
konfliktreichen Dialogen von den mannigfachen Überforderungen heutiger Leistungsträger
erzählt.

Beim steirischen herbst ist das Theater im Bahnhof längst Fixstarter und lockt heuer auf ein
Kukuruz-Stoppelfeld am Stadtrand. In "Zwischen Knochen und Raketen", einem "Theaterstück
von weltpolitischer Dimension", geht es im Shuttlebus hinaus nach Graz-Reininghaus, wo die
Quintessenz eines Kasachstan-Reisetagebuchs mit dem Pornoklassiker "The Opening of Misty
Beethoven" kurzgeschlossen wird. Hierbei heißt es unter anderem für eine Pornodarstellerin, drei
Ehemänner namens Viktor zu versorgen.

Margarete Affenzeller



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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