steirischer herbst 2007
Falter Steiermark - 26.09.2007
Gleich scheuen Igeln
Kunst kann das Leben schöner machen: Grazer Kunsthaus, Camera Austria und Medienturm, alle am rechten Murufer beheimatet und im steirischen herbst vertreten, sind sich dafür ganz schön "nahe genug" gekommen. Ein Rundgang.

Zur Veranschaulichung dessen, was sie unter einem wenig statischen und wohl auch
gruppendynamischen "nahe genug" versteht, dem Motto des diesjährigen steirischen herbst, griff
Intendantin Veronica Kaup-Hasler in ihrer Eröffnungsrede zu einem von Amos Oz überlieferten
Bild: "Igel in Sibirien rücken in der Kälte aneinander, um nicht zu frieren. Dann stechen sie sich,
rücken wieder auseinander und fangen wieder an zu frieren."

In Sachen bildender Kunst ist die Zeit des Frierens jedenfalls passé. Schwammigkeit hin oder
her: Thematisch waren die ausstellenden Institutionen rechts der Mur kaum je enger aneinander,
verhandeln Nähe und Distanz in einander wärmender Ästhetisierung. Gerade so, als müsste
einer feindlichen Umgebung kunstig begegnet werden. Nächstes Jahr wird der neue Kunstcluster
noch um das Haus der Architektur und den Grazer Kunstverein ergänzt sein. Da wird's dann so
richtig kuschelig.

Dass sich das Kunsthaus zum steirischen herbst mit seiner Umwelt auseinandersetzt, hat
inzwischen Tradition. Mit "Volksgarten" wird dieses Jahr dezidiert auf die "schlechtere Seite von
Graz", auf die Bezirke Gries und Lend, fokussiert, deren hoher Ausländeranteil Anlass bietet,
"Bedingungen des Fremdseins" und "Politiken der Zugehörigkeit" abzuhandeln, die dem
Kunsthaus selbst - als "friendly", aber eben "alien" - so fremd nicht sein können. In der
Ausstellung ist freilich alles auf Oberflächenglanz getrimmt, edel und gut. Nicht nur die Fotoserie
von palästinensischen Produkten des Franzosen Jean-Luc Moulène oder die in einer
kalifornischen Parade-Sozietät entstandenen Kinderporträts von Sharon Lockhart. Dem Risiko,
im Kunsthaus ein interaktionistisches Programm zu fahren - wie letztes Jahr mit "Protections" -,
ist man heuer bewusst ausgewichen.

Immerhin hat das Künstlerduo resanita, letztes Jahr noch "off herbst", am Mariahilferplatz
Keuschler-Feeling auf Lehmboden installiert (aber mit Strom und Sound). Und das Schweizer
Kollektiv airline hat im titelgebenden Park einen Iglu aus ökologischen Materialien errichtet, der
zu kulinarisch-künstlerischen Gemeinschaftsaktivitäten einladen soll. Das hat zum Auftakt am
Samstag nicht schlecht funktioniert, die Parkkinder haben gebastelt, mit Johanna Kandls bunten
Kunstluftballons gespielt, auf denen in verschiedenen Sprachen "Wir werden hier leben und
glücklich sein" zu lesen ist, und vor der Bezirkszentrale der SPÖ massig Gratis-C}evapcic}i und
Zuckerstangen verdrückt. Bloß eigenartig, dass Derartiges nicht längst zum allwöchentlichen
Standardangebot der Sozialdemokraten im Lend gehört.

"Alle Menschen werden Brüder" hat Schiller noch wenig gendersensibel formuliert. Den
Aberwitz solch weltumarmender Gestik bringt der Schweizer Olaf Breuning in seinem Film "Home
2" auf den Punkt. Mit der Figur eines prototypischen Amerikaners, der durch Afrika tourt und sich
dort am Exotischen bei weitem mehr berauscht, als der David Attenborough es jemals an der
Fauna konnte. Ein klarer herbst-Höhepunkt, zu sehen in der Ausstellung "What we bought" von
Camera Austria, die ihren Beitrag Formen der Fetischisierung uns naher Dinge gewidmet hat.
Unter dem Titel lässt sich freilich weit Trashigeres vermuten als die vom Schweizer John
Armleder in Auftrag gegebene mit Baumarktfolien bunt beklebte Wand oder Swetlana Hegers
rosa gerahmte Aufnahmen des Innenraums einer gotischen, mit menschlichen Knochen
verzierten Kirche aus ihrer tschechischen Heimat. Selbst Manfred Willmanns Chaosbilder, in
denen der Künstler den eigenen Lebensmüll vorführt, sind, für sich selbst genommen,
hochglänzend hinter Glas und folglich eben auch ästhetische Objekte.

Im Kunstverein Medienturm wird in gleichfalls schicken Formaten hinterfragt, wie nahe man sich
selbst oder dem eigenen Begehren kommen kann. Am wörtlichsten bei Maria Hahnenkamp
(Wien), die via ornamental bestickter Kleidungsstücke das Einschreiben von Denkmustern in den
weiblichen Körper ganz getreu nach Judith Butler vorexerziert. Loser fällt das Assoziieren bei
Ulrike Lienbacher aus, die in ihren präzisen Zeichnungen regelkonforme Körperertüchtigung und
Schmutzigwerden im Stile gesunden Mädchenpensionats durchspielt. Zeit sollte man sich für die
skurillen Filme der in Wien lebenden Mara Mattuschka nehmen und für die aus diesen Filmen in
Öl auf Leinwand destillierten Posen. In einem kleinen Nebenraum hat schließlich Eva Stern
(Graz) ihr Stofffiguren-Paradies errichtet: ein sich wie atmend blähender "Schatzturm" und
Kleinteiligeres, das an gefräßige Science-fiction-Weltraumwürmer oder Sporen erinnert. Hat aber
einen buddhistischen Hintergrund und kündet vom Aufgehen des Einen im Anderen. Ut unum
sint! Aber warten wir bis nächstes Jahr.

Ulrich Tragatschnig



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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