www.corpusweb.net - 25.09.2007
Baktruppen tanzen
LUSTIGE SCHRITTE AUF DISTANZ ZUM TANZ IM ZELTTHEATER DES STEIRISCHEN HERBSTES
»online
Baktruppen, die norwegische Performancegruppe, die seit Mitte der 80er
Jahre zeitgenössische Theaterformen hinterfragt und in
unterschiedlichsten Performances konsequent das Potential der
menschlichen Interaktion im Theater in den Vordergrund rückt, hat sich
dem Tanz zugewandt.
Zu sehen waren diese Zuwendungen in „The Theatre", einem temporären
Bau als vom steirischen Herbst in Auftrag gegebener Versuch, Theater
als Soziales Ereignis architektonisch umzusetzen. Es besteht aus einer
Zeltbar, die gleichzeitig als Festivalzentrum dient, und einem
Theaterraum, der aus Containern, Verstrebungen und Plastikplanen als
Kubus konstruiert ist. Weisser Tanzboden, die letzte Bahn schwarz,
Licht und Soundequipement auf der Bühne. So zeigen die Baktruppen
ihre erste Choreografie „Do and Undo" sowie einen Klassiker des
modernen Tanzes, „Deli Commedia" von Merce Cunningham.
Tanz als soziales Ereignis
„Anybody can make a dance", schreibt Baktrupper Øyvind Berg im
Programmfolder, und der Spass, sich zu bewegen, sich nicht drum zu
scheren, wie es aussieht, sowie die mitunter kindlich wirkende Freude,
sich zu präsentieren, bestimmen den ganzen Abend. Berg: „Shortcomings
are included in perfection. Imperfection is, when shortcomings are
brusquely excluded."
In „Do and Undo" präsentieren sich die Baktruppen in hautfarbenen
und schwarzen hautengen Ganzkörpertrikots. Fünf Männer und zwei Frauen
verketten sich liegend. So schlingt etwa einer seine Beine um den
Nacken der Nachkommenden, die sich ihrerseits wiederum mit ihren Armen
in dessen Knie einhengt. Derart schieben und ziehen die Performer sich
als Menschenwurm in verschiedenen Variationen diagonal über die Bühne.
Es ist nicht nur offensichtlich Arbeit, sich so fortzubewegen (was das Publikum immer wieder höchst erfreut) - es ist Zusammenarbeit.
Und so fassen die Akteure sich auch stets an den Händen, wenn sie sich
entknoten und helfen einander auf, bevor sie sich in einer Chorusline
aufstellen und gekonnt ins Publikum blinzeln. Licht und Musik wird von
ihnen selbst betätigt. Gustav Mahlers „Adagietto" dröhnt und scheppert
übersteuert durch den Raum. Die Körper dampfen. Herr und Frau Publikum
würden sich in solchen Trikots wahrscheinlich genauso anstellen und
ein ähnliches Bild abgeben. Die Baktruppen tun es noch dazu
hingebungsvoll, voll Überzeugung und ohne Scham.
Es wird klar, dass sie es gewohnt sind, gerade deshalb geliebt zu
werden. Als sie sich dann in einer Reihe im Lotussitz niederlassen,
jeder auf seine Art zu weinen beginnt und darauf folgend jeweils eine
Person von der ganzen Gruppe auf den Händen hoch über den Boden eine
Bühnenlänge getragen wird, kommt man nicht umhin, an
Selbsterfahrungsgruppen zu denken. Oder eine formalisierte
Zusammenfassung nach den ersten Kontaktimprovisationserfahrungen. Es
ist eine gemeinschaftliche Bewegung, irgendwie abstrus, ungeschickt,
menschlich. Ein gemeinsames Tanzen eben, das dem Publikum vorgeführt
wird. Und von dem es, manche herzlich lachend, manche gar nicht
lachend, mitgenommen wird.
This ought to be funny
„Deli Commedia“ wurde von Merce Cunningham 1985 als
Videochoreografie in Zusammenarbeit mit Elliot Caplan produziert und
als „slapstick“ aufgenommen. Cunningham greift in dieser Arbeit auf
Elemente der italienischen Commedia dell’arte des 18. Jahrhunderts
zurück. Musik und Bewegung werden wie im Stummfilm eingesetzt.
Schauspieler „tanzen“ ihren Plot und bringen in grossen Gesten ihre
Emotionen zum Ausdruck. Die Musik unterstreicht das dramatische Spiel.
Clowneske Figuren, übertriebene Bewegungen, aber auch Lindy Hop (ein
Gesellschaftstanz, der vor allem zu zweit getanzt wird, wobei Spaß und
Austausch von Bewegungsideen während des Tanzes und an der
Musikinterpretation im Vordergrund stehen) und Tango sind Teil des
komödiantischen Spiels in Cunninghams Choreografie.
In „Deli Commedia“ rückt der Bühnenarbeiter, der die ganze Zeit
schon unbeteiligt am hinter Bühnenrand stand, vor und wischt den
Schweiß von der Bühne. Die Rauchmaschine wird aktiviert, und die
Baktruppen-Tänzer (diesmal mit einer wilden Mischung aus knallbunten
Tanztrikots und Modern Dance-Accessoires ) kommen jeder mit einem
kleinen Holzbogen auf die Bühne, an dem eine Seite gespannt ist, die
mit dem elektronischen Verstärker gekoppelt wird. Sie setzen sich auf
den Boden und beginnen zu musizieren.
Zwei Männer bleiben bei den Musikinstrumenten, die anderen vier
„re-stagen“ die Merce Cunningham-Choreografie. Dazwischen wird immer
wieder die Rauchmaschine aktiviert, und der Bühnenarbeiter wischt den
Tanzboden trocken, damit er nicht zu rutschig wird. Seine Gelassenheit
ist ein wohltuender Kontrapunkt zu dem plakativ albernden Tanzgestus,
den die Truppe diesmal exerziert. Die Haltung des „maybe we are idiots
and people like to watch idiots dance“ (so steht es im Programmfolder)
bringt eine unangenehme Statik und Sicherheit in der Ausführung. Aber
die (auch wohltuende) Ironie und Respektlosigkeit gegenüber einer
perfektionierten Künstlichkeit und Ästhetik im Tanz schützt nicht vor
der Plattheit des Spektakels. Selbst wenn ihnen der Meister voller
Wohlgefallen die Choregrafie geschenkt hat.
Die Baktruppen waren in Performances, in denen sie Situationen oder
Prozesse lose gesetzt haben und dadurch auf riskante und humorvolle
Weise Empfindsamkeit vermittelt haben, dem Tanz näher, als in „Deli
Commedia" an diesem Abend. In der Bar sagt ein Mann zu einer Frau: „Wir
sollten mehr tanzen.“ Immerhin.
Sabina Holzer
20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst