steirischer herbst 2007
Kleine Zeitung - 02.10.2007
Hellste Lust am Schwarzreden
Prädikat super: Der "Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Unwissen" im Grazer Orpheum hat den "steirischen herbst" auf Turbo- Touren gebracht.

Im Foyer des Orpheums ein Gesumme wie im Bienenstock. Immer wieder Durchsagen.
"Experte Ed Hauswirth, bitte begeben Sie sich an Ihren Tisch!" Witzig die Hochfrisuren der
Damen an den Anmeldepulten. Wie vor 40 Jahren, als der "steirische herbst" das Licht der Welt
erblickte.

In langen Reihen banges Warten auf das Ein-Euro-Ticket für eine halbe Gesprächsstunde mit
einem der mehr als 100 anwesenden Experten. Börsenstimmung, wenn auf dem "Schwarzmarkt"
der Berliner Kuratorin Hanna Hurtzig Wissen wie ein Aktienpaket versteigert wird. Gedrängel
am Schwarzradiostand, wo nach einer halben Stunde bereits alle 300 Leihgeräte zum Belauschen
 der Talks vergeben sind.

Sie hasse Schlangestehen, sagt eine zierliche Pensionstin und fängt an zu erzählen von Indien
und Paris damals, wo sie im Zoo gearbeitet hatte. Man redet miteinander. Mit Unbekannten.
Einfach so. Das ist wohl die schönste Gabe, die die vielen jungen und frisch gebliebenen
Menschen am "Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen" empfangen haben.

Die Atmosphäre im Saal erinnert an Universitäts-Bibliotheken. Lia Rigler erzählt gerade vom
Wörgler Schilling und dem für die damaligen Arbeitslosen so hilfreichen Freigeldexperiment.
Pfarrer Pucher schildert die "Geborgenheit" als das Um und Auf der Vinzenzgemeinschaft.
Später zückt Joachim Hainzl stolz eine Packung "57" aus seiner Zigarettenschachtel-Sammlung:
"Die erste Filterzigarette Jugoslawiens."

Voyeure
Ein bunter Mix eröffnet sich den Kopfhörer-Voyeuren, die auf sechs Kanälen Gespräche
mithören. "Super", schwärmt ein Tontechnik-Student nach seinem Gespräch mit der Ethnologin
Elisabeth Katschnig-Fasch. "Schön" sei es hier, "ein bisschen chaotisch, aber das ist sicher
normal". Auch Expertin Rose Mild ist begeistert: "Hab' mich ganz lieb mit zwei Herren
unterhalten." Nur eines bedauert das Grazer Urgestein: "Ich hätte so gerne das Hobellied aus
dem ,Verschwender' gesungen."

Zutiefst bewegt ist eine Frau, die David Schalko ("Donnerstalk") gegen Geld gerade nach dem
"größten Versäumnis Ihres Lebens" befragt: "Dass ich nachts geschlafen habe, als mein fünf
Monate alter Sohn an plötzlichem Kindstod starb."

Spürbar ist die Offenheit des Publikums. "Die Idee gefällt mir total gut", sagt ein Student. Dem
pflichtet wohl auch Joachim Lux bei, Chefdramaturg am Burgtheater, der als Expertin
Unterrichtsministerin Claudia Schmied wählte. Er wolle den "Schwarzmarkt" in Hamburg, wo er
ab 2009 die Intendanz am Thalia Theater innehaben wird, ebenfalls machen, weiß Lisa D. im
Gespräch mit der Kleinen Zeitung zu erzählen.

Zündung
Die österreichische Modekünstlerin selbst war bereits "Schwarzmarkt"-Expertin in Berlin. Dort
sorgte Christoph Schlingensief noch für eigene Würze. Eine zündende Idee ist die mobile
"Schwarzmarkt"-Akademie. Man trifft sich demnächst vielleicht wieder. An anderen Orten. Zum
Kennenlernen und Reden.



ELISABETH WILLGRUBER-SPITZ



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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