steirischer herbst 2007
Falter Steirermark - 03.10.2007
Einmal ausrasten, bitte
HERBST-TAGEBUCH II Allzu viel ist ungesund: Schnaps, zum Beispiel. Oder Bürokratie. Oder Ikea. Im Theater glückte die Dosierung in der zweiten herbst-Woche aber fast perfekt.

25.9.2007 Im Foyer des "Theatre", dem diesjährigen Festivalzentrum des steirischen herbst,
herrscht das Prinzip des Gebens und Nehmens. Die schwedischen Performer Tor Lindstrand und
Mårten Spångberg stellen hier täglich Gratis-Schnaps und-Likör in wüster geschmacklicher
Variationsbreite und verschwenderischer Menge in immer changierenden Stimmungsdekors
bereit, um die Besucher zur ebenso großzügigen Preisgabe sozialer und kreativer Energie zu
animieren. Zum Beispiel, um wie am Dienstag aus einem gewaltigen Sitzsack kollektiv eine
"Volkspyramide" zu errichten. Illuminatentum goes Illuminiertheit. Schon lustig, aber auch
ziemlich Ikea. Ernsthaft zu überlegen ist eine Nachnutzung des "Theatre" als
Begegnungszentrum für Betroffene herbst-induzierten Alkoholabusus. Während aber im Foyer
der schwedische Bär tobte, teilte im "Theatre" der Philosoph Markus Steinweg Theorie in großen
Portionen aus. Um das "antigoneische Subjekt" ging es da, um die subjektive Notwendigkeit, mit
steter Beschleunigung den traurigen Vorhang der Tatsachen zu perforieren. Das geht also auch
ohne Schnaps. Danke!

27.9. bis 29.9.2007 Hochprozentiges stand die Woche immer wieder auch in resanitas
Knusperhäuschen am Mariahilferplatz am Programm, das im Rahmen der Kunsthaus-Schau
"Volksgarten" betrieben wird. Herr Richard hat da zum Beispiel sehr erfolgreich mit schwedischer
Turbo-Hefe und Rotwein-Destillat experimentiert, Irina Karamarkovic} ihre tiefsanfte Stimme
dazugemischt. Zum Sterben schön. Vielleicht kann sich jetzt noch irgendjemand im Kunsthaus
darum kümmern, dass die Damen von resanita nicht dauernd mit Behördenkram terrorisiert
werden und gefälligst die ganze Nacht offen halten dürfen. Wenn sie das durchhalten. Wir sind
hier ja nicht beim Festival zeitgenössischer Bürokratie.

Reich gedeckt war der Gabentisch auch auf den herbst-Bühnen: Nature Theater of Oklahoma
(Yeah!!!), andcompany&Co. (Arrrgh!) und Theater im Bahnhof (Hui!) folgten einander im
beinharten Tagestakt (Details siehe Artikel links). Ein Klasse für sich und vom Gros der herbst-
Besucher völlig zu Unrecht übersehen: Mathilde Monniers großartig präzise wie poetische
Choreografie "tempo 76" im Schaupielhaus, eine berührende Arbeit zur Form des "Unisono", also
des Tanzes im Gleichschritt. Gleichschritt wie in "corps de ballet". Oder wie in "Militärparade".
Am grünen Kunstrasen haben Monniers elf Tänzer zu Klavierstücken von Györgi Ligeti diese
Form in Vollendung variiert und dabei vorgeführt, wie schwierig es ist, eins mit sich und der Welt
zu sein. Dagegen musste dann später am Abend der Berliner Milchbubenpop von Kissogramm im
Club der "Großen Freiheit" naturgemäß absaufen.

30.9.2007 Die lange Vorlauf-Promotion hat sich bezahlt gemacht, die Grazer haben Hannah
Hurtzigs "Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen" zum Thema "Die Gabe" am
Sonntag regelrecht gestürmt, haben eingecheckt, heftig bestochen und sind immer wieder
ausgerastet beim Versuch, einen der hundert Experten für ein halbstündiges Privatissimum im
wunderschön gestalteten Orpheum zu buchen. Nur wenige sind nicht gekommen: Barbara Stöckl
hat kalte Füße bekommen und ihr Expertisenangebot zum Thema "Mechanismen des Helfens"
krankheitsbedingt zurückgezogen, der Chirurg Karlheinz Tscheliessnigg fand nach 36 Stunden im
OP einfach nicht mehr die Kraft zum Organspende-Vortrag. Hat nicht gestört, bis spät nachts
ging das wilde Theater um Wissen, Begierde, Markt und Macht. Auf Wiedersehen, Schwarzmarkt,
bei den Wiener Festwochen im nächsten Jahr.

Thomas Wolkinger



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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