steirischer herbst 2007
Kurator Reinhard Braun zur Ausstellung

Vor dem Hintergrund der Leitmotive des steirischen herbstes 2007, die sich auf Phänomene von Nähe und Distanz in Alltag, Geopolitik und Ästhetik richten, entsteht in Kooperation mit dem stadtmuseumgraz eine Ausstellung, die aus Anlass des 40jährigen Bestehens des steirischen herbst dessen spezifische Geschichte, das Profil, das Selbstverständnis und dessen Rolle im Feld zeitgenössischer Kunst thematisiert. Die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler, die sich in ihren Arbeiten im Feld konzeptueller und institutionskritischer Praktiken bewegen, entwickeln in ihren Projekten verschiedene Lesarten des Festivals, die das Ausstellungsprojekt gleichzeitig zu einem Beitrag zur Diskussion über Voraussetzungen künstlerischer Produktion in ihrem Verhältnis zum Handlungsraum von Kunstinstitutionen werden lässt.

In einem Prozess zunehmender Depolitisierung kultureller Produktion finden sich Publikum und Institutionen immer mehr durch Ökonomien der Aufmerksamkeit aneinandergekettet. Von einem überholten Öffentlichkeitsbegriff ausgehend, der publikumswirksame Ausstellungsprojekte verlangt und von der Kunst einen unterhaltungskulturellen Beitrag zum touristischen Profil ganzer Regionen, zeigen sich neue alte Formen eines Repräsentationsanspruches an Kunst und Kultur. Wie lassen sich demgegenüber Versuche realisieren, Kulturinstitutionen nach wie vor als einen gesellschaftlichen Handlungsraum zu verstehen, der das (konflikthafte) Aufeinanderprallen von sozialen, politischen und künstlerischen Hypothesen und Modellen, auch von unabgeschlossenen Annahmen und Voraussetzungen ermöglicht? Kann die Geschichte des steirischen herbst von dieser Perspektive aus exemplarisch in den Blick genommen werden, ohne sie zu heroisieren oder auf Stereotype zu reduzieren?
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Das Festival lässt sich jedenfalls als diskontinuierlicher, heterogener, sich immer wieder widersprechender, manchmal sich wie von selbst fortschreibender kultureller „Text“ verstehen, der gewisse Themen, Debatten, Ästhetiken, Formate und Strategien forciert und andere unterdrückt oder ignoriert hat: Kunst – Öffentlichkeit, Körper – Technologie, Politik – Geografie, Geschlecht – Medium etc. Über die Brüche und Leerstellen in diesem Text erschließen sich somit auch institutionelle Mechanismen der Ausschließung und Grenzziehung, der Verdrängung oder gar des Ignorierens. Die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler haben sich in unterschiedlicher Weise in diesen ausufernden, vielfältigen kulturellen Text  eingeklinkt, Teile davon übersetzt, umgeschrieben, ergänzt oder überhaupt erst sichtbar gemacht. Die Beiträge zur Ausstellung „Reading Back And Forth“ drehen sich somit vor allem um das Auffinden von Berührungspunkten zwischen Gesellschaft und Kunst bzw. von Konfliktlinien innerhalb der Gesellschaft, die der Geschichte des Festivals auf verschiedenen Ebenen eingeschrieben sind: als Motti, Slogans, Titel, in Texten, Presseberichten, in Dokumenten wie Plakaten, Foldern, Programmheften, in Foto- und Videodokumentationen und nicht zuletzt im unsystematisch entstandenen Archiv. Gleichzeitig wird durch die Ausstellungsbeiträge die immer wieder notwendige Selbstbefragung des eigenen institutionellen Profils, der politischen Verstrickungen, der unlauteren Annäherungsversuche und der (geglückten oder misslungenen) Vermittlungsstrategien vorangetrieben.

So publiziert Maria Eichhorn ein Buch, das einen Überblick über alle Teilnehmerinnen des Festivals von seinen Anfängen im Jahr 1968 bis 2007 gibt. Ausgehend vom jeweiligen Zahlenverhältnis Teilnehmerinnen zu Teilnehmern wurde die jeweilige Prozentzahl der Teilnehmerinnen eines jeden Jahres und daraus der prozentuale Gesamtdurchschnitt aus 40 Jahren errechnet. Dieses Buch wird in einer von Eichhorn für die Ausstellung entworfenen Buchhandlung verkauft, wobei der Verkaufserlös an die Verkäuferinnen geht.
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Annika Eriksson greift eine Rede von Hanns Koren zum steirischen herbst 1968 auf und lässt diese zur Eröffnung der Ausstellung erneut vortragen. Die Wiederaufführung dieses Textes zeigt sowohl die Veränderungen im Diskurs über Kunst und Gesellschaft als auch die Veränderungen der politischen Sprache darüber. Dadurch verschränkt sie gegensätzliche gesellschaftliche Kontexte ineinander und schafft einen widersprüchlichen Rahmen für eine Neuinterpretation sowohl des Textes, der Geschichte des Festivals als auch der Ausstellung selbst.

Die Gruppe Famed verbindet in ihrer Installation eigenes mit historischem Material auf der Suche nach möglichen Handlungsoptionen in der Gegenwart. Sie suchen in ihrer Arbeit ein Potenzial wieder auf, das die Kunst als gesellschaftlichen Möglichkeits- und Diskursraum markiert. Insofern beziehen sich Famed kritisch auf ein der Kunst immer wieder zugeschriebenes utopisches Potenzial und dessen „Verwertung“ durch Institutionen.

Willem Oorebeek ermöglicht einen ungewöhnlichen Blick auf Archivmaterial des steirischen herbst. Eine Auswahl von Plakaten wird mit schwarzer Farbe überdruckt und zu BLACKOUTS erklärt. Die derart wiederverwerteten Bilder werden auf eine gemeinsame Oberfläche montiert, die ihrerseits als Projektionsfläche für Videoarbeiten aus dem Archiv des Festivals dient. Die BLACKOUTS und die Videoprojektion widersetzen sich der Kanonisierung von Geschichte, von Hierarchien und Wertvorstellungen, da die Auswahl und der Bearbeitungsprozess die jeweiligen Bilder und Videos aus einem System frei- und in ein anderes System übersetzt.
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Joke Robaards Projekt bildet einen Prozess der Ineinander-Verschränkung von kulturellen Kontexten und Bedeutungen über die Ineinander-Verschränkung von Prozessen und Medien ab:  Titel von Festivals und Festivalproduktionen aus der Erinnerung einer Gruppe von Personen werden von einer anderen Gruppe von Personen in neue Titel übersetzt, die Archivfotos der Künstlerin  (aus Zeitungen und Zeitschriften), eine wandfüllende Fotoarbeit, der Folder, die Diagramme, die Videos. Alle diese Elemente ergeben ein (potentiell) endloses Gewebe von Deutungen, Interpretationen und Repräsentationen, die die Künstlerin in ihrem Projekt auffindet und freilegt.

Michael Schuster bezieht sich auf die Corporate Identity des steirischen herbst. Auf einem Paravent, wie er in der österreichischen Fußball-Bundesliga verwendet wurde, um bei Interviews die Sponsoren der Liga ins Fernsehbild zu setzen, platziert er alle Logos des Festivals der letzten vierzig Jahre. Es werden die Verschiebungen der ästhetischen Sprache, die Übergänge in den Vermittlungsstrategien, aber auch die Brüche im Profil des Festivals sichtbar, die sich mit den Wechsel der Intendantinnen und Intendanten ergeben haben – eine durchaus aufschlussreiche Kurzgeschichte des steirischen herbst.

Manuela Zechner schließlich ist mit einem langfristigen Projekt in der Ausstellung vertreten, das auf Interview-Gesprächen basiert, die als in der Zukunft stattfindend angenommen werden. Für Graz entsteht eine Reihe von neuen Interviews, die um Fragen kultureller Performativität, Kunst und deren institutioneller Landschaft kreisen. Gemeinsam mit einer Auswahl an bestehenden Videogesprächen entsteht ein Raum der Befragung von künstlerischer Praxis und institutioneller Vermittlung, in deren Zentrum der steirische herbst als Phänomen der kulturellen Landschaft der Gegenwart imaginiert werden kann.
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Für den US-amerikanischen Kulturtheoretiker Lawrence Grossberg stellen sich die kulturellen Objekte der Untersuchung vor allem als Allianzen und Beziehungsgeflechte von Praktiken dar, die er mit dem Begriff Artikulationslinien beschreibt. Dasjenige, das untersucht, dokumentiert oder kritisiert wird, entsteht auch durch die Praxis dieser Untersuchung. Dadurch wird es allerdings möglich, Beziehungen herzustellen, wo es keine gab oder besser, das Herstellen einer neuen aus einer anderen Beziehung. In diesem Sinn versucht die Ausstellung, einen dialogischen Austausch zwischen Institution, Künstlerinnen und Künstlern und Publikum zu etablieren, einen Raum, der offen ist für konfliktreiche Zuschreibungen und Umschreibungen, ein Raum, der dadurch gerade nicht mehr von der Institution selbst dominiert werden kann.
Diese verschiedenen Lesarten einer Kunstinstitution, wie sie durch die Ausstellungsbeiträge vorgestellt werden, eröffnen vielmehr ein Feld an möglichen Beschreibungen, ein Feld, in dem sich Beziehungen zwischen Kunst, Institution, Bedeutungen, Politik und Öffentlichkeiten etablieren können, wo vorher keine waren, oder neue Beziehungen aus anderen Beziehungen. Und diese neuen Beziehungen oder Artikulationslinien stehen selbst wieder in einem Beziehungsgeflecht von weiteren und anderen Praktiken: die jeweiligen individuellen künstlerischen Strategien, deren Geschichte und Entwicklung sich mit der Geschichte des Festivals steirischer herbst im Terrain der Ausstellung überlagert und durchkreuzt. Die Projekte zeigen, dass es vor allem um die (Re-) Konstruktion von Schauplätzen und Strategien, um Formen der Recherche, um neue kulturelle Texte geht, auch darum, diese Geschichte in verschiedenen Medien und Formaten zu umkreisen, zu fixieren und zu umschreiben. Die Ausstellungsbeiträge teilen sich gewissermaßen ein gemeinsames Feld der Untersuchung, ohne dieses zu beschreiben oder zu dokumentieren – ein Feld, das möglicherweise Artikulationen zwischen Wirklichkeit, Öffentlichkeit, Mythos und Politik, Erinnerung und Rebellion ermöglicht.
                                   
                                   

20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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