steirischer herbst 2007
Salzburger Nachrichten - 02.10.2007
Dunkler Umschlagplatz der Worte
Eine halbe Stunde Gespräch mit der Ministerin oder dem Armenpfarrer wird zum ganz persönlichen Theater beim "Schwarzmarkt" von Hannah Hurtzig in Graz.

Dort, wo üblicherweise Konzertpublikum horcht, klatscht und johlt, stehen
nummerierte Tische, an denen - in schummriger Beleuchtung - permanent gesprochen wird. Was
optisch an einen fragwürdigen psychotherapeutischen Weltrekordversuch erinnert, ist eine
Inszenierung der Berliner Kulturarbeiterin Hannah Hurtzig, die ihren international florierenden
"Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nichtwissen" für den "steirischen herbst" auch nach
Graz exportierte.

Sonntagabend, Orpheum Graz: Befürchtungen, wonach das Grazer Publikum das
ungewöhnliche Angebot zur Kommunikation nicht annehmen würde, erweisen sich als
unbegründet. Rund 600 Menschen drängeln sich, um jeweils 30 Minuten mit einem von 100
Experten gegen eine Gebühr von einem Euro reden zu können. Die Liste der Auskunftgebenden
reicht von der "herbst"-Intendantin Veronica Kaup-Hasler bis zum Grazer Armenpfarrer Wolfgang
Pucher, von einem Bettler bis zur Sprachwissenschaftskoryphäe, von Kulturministerin Claudia
Schmied bis zum Schmetterlingszüchter Leo Kuzmits.

Wer keinen Vier-Augen-Gesprächstermin aushandeln konnte, durfte ausgewählten Dialogen
über Kopfhörer lauschen: Gesprächs- und Informationshappen, ohrgerecht serviert und über eine
Art Fernbedienung selbst steuerbar.

Hinein also in die Unterhaltung der Ministerin, die ihrem Klienten gerade erklärt, wie sehr
identitätsstiftend Kunst und Kultur für Österreich sind. Befragt über ihr Verständnis als Ministerin,
antwortet Claudia Schmied: "Ich will radikal und authentisch bleiben." Auf einem anderen Kanal
definiert Pfarrer Pucher seinen Begriff von Liebe: "Jemanden in der Form mögen, wie er ist und
nicht so wie man ihn haben will." In jedem Menschen schlage eine Nachtigall, sagt der Pfarrer,
der sich seit Jahrzehnten um soziale Randgruppen kümmert.

Einige Tische weiter wird über "Bourdieu für Aufsteiger" debattiert, hier referiert Peter Weibel
wortreich, da unternehmen die Schwestern Brüll eine mehrstimmige Performance inklusive
Speck- und Schnapskostproben, dort drüben werden Zigarrenschachteln ausgebreitet, und am
Tisch 26 erklärt Millionenshowgewinnerin El Awadalla, dass der Geldsegen kein Ruhekissen für
immer sei: "Es ist viel auf einmal, aber es bleibt ja bei dem einen Mal. Manager in Deutschland
verdienen elf Millionen Euro pro Jahr."

Der unter dem Thema "Die Gabe und andere Verletzungen des Tauschprinzips" stehende
vierstündige Abend der vielen Worte wurde von Hannah Hurtzig als "Installation" tituliert. Eine
Installation mit Stimmengewirr, Rednergesten, Theorien- und Erfahrungshandel, stummen
Zuhörern, etwas übertrieben gestylten Hostessen am Check-in-Schalter und einem Gong, der die
Sitzungsrunden beendete.

Der Begriff "Schwarzmarkt" ist marketingtechnisch gut gewählt, absolut zutreffend ist er nicht.
Der Handel um Preise und Termine ist dem eigentlichen Ereignis untergeordnet, hier mengt sich
halblustiger Showcharakter in den Aufbau der an sich spannenden Kommunikationsskulptur.

Das Dealen mit Wissen wird im Hurtzig-Konzept zu einem performativen Akt mit theatralischen
Qualitäten. So attraktiv kann eine Volkshochschule sein.


MARTIN BEHR



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
created with wukonig.com
Bitte installieren Sie den Flash Player 8.
Sie können Ihn kostenlos unter folgender Adresse herunterladen: http://adobe.com/go/getflashplayer/