steirischer herbst 2007
Falter Steiermark - 26.09.2007
Tanz das Gänsefüßchen!
Der herbst ist los: Staalplaat aalglatt, die Kunst der Entgrenzung und warum Graz jetzt auf Berlin macht.

20.9.2007 Diese Halle ist nicht für alle. Peter Oswald hat die Helmut-List-Halle begehrt und
bekommen, Intendantin Veronica Kaup-Hasler hat sie geerbt und muss sich ihr nun zumindest
zur Eröffnung des steirischen herbst annähern. Das ist heuer total danebengegangen. Das
Staalplaat Soundsystem war mit "Closed Enough" angekündigt, wollte die Halle als Instrument
verstanden wissen und wie ein "Listophon" spielen. Eine gute Idee, nur hat die Halle da nicht
mitgemacht. Die ist nämlich gar kein Instrument, sondern ein nach außen schalldichter
Klangraum, in den man ganz ordentlich reinbrüllen muss, damit auch etwas zurückschallt.
Staalplaat hat's zunächst mit Holzwindrädchen versucht, die im Strom der Hallenlüftung
klapperten, mit Hämmerchen, die an die Hallenwand schlugen, dann haben die Niederländer die
Dosis mit einer Lokomotive, mit gepimpten Autos, einem Truck, einem Formel-1-Wagen und -
Geste größter Verzweiflung - einem Hubschrauber gesteigert, die unter mäßiger
Geräuschentwicklung in der und um die Halle herumkasperten. Aalglatt. Hätte man ja gleich ein
Streichquartett auf eine Bühne setzen können. Ein schöner Moment: das kühle Ballett der
Hallenscheinwerfer, begleitet vom verstärkten Summen ihrer Elektromotoren. So hätte das
gehen können.

Die Rede der Intendantin geriet entsprechend nervös, am Buffet war wieder alles gut. Doch was
haben sich der Herr Landeshauptmann und seine Kulinarikberater dabei gedacht, ausgerechnet
Vulcano-Schinken in der List-Halle auffahren zu lassen? Das Vulkanland ist bekanntlich
Austragungsort der ersten Regionale im Jahr 2008, und das Verhältnis zwischen herbst und dem
neuen, wohldotierten Regionalfestival, dessen Programm noch dazu am Vortag der herbst-
Eröffnung präsentiert wurde, entwickelt sich nicht ohne Spannung. Bleibt die Kernfrage der Post-
Avantgarde: Wie provokant ist Schinken?

21.9.2007 Der herbst muss in die Stadt, dort funktioniert er auch. Schönes Theater von Tim
Etchells (siehe Seite 10), völlige Entgrenzung im neuen Festivalzentrum. Alter Schwede! Tor
Lindstrand und Marten Spangberg hatten sich ja vorgenommen, den erweiterten Theaterbegriff
mit ihrem Container am Karmeliterplatz noch ein wenig zu erweitern. Das Theaterfoyer jedenfalls
und dessen sozialevolutionäres Potenzial scheinen die beiden in Stockholm sehr gründlich
studiert zu haben. Im Folien-Foyer von "The Theatre" waren die Menschen nach einer gemein
getakteten Abfolge von Grill-Exzessen, Likör-Psychotests, einem Feuerwerk,
Türmchentortenschaubacken und Konfettiaktionismus kaum wiederzuerkennen.

22.9.2007 Dass sich Graz an diesem sonnigen Herbst-Samstag ein wenig nach Berlin anfühlte,
hat nicht nur mit der Sozialisierung des inhaltlichen Führungstrios des steirischen herbst, der
Intendantin und ihrer beiden Festivaldramaturgen Kira Kirsch und Florian Malzacher, zu tun.
Auch die mit dem herbst kooperierenden Häuser und Kunstvereine haben sich im vierzigsten Jahr
des Festivals um urbane Weitläufigkeit bemüht. So viele schöne, neue Orte gab es in Graz
schon lange nicht zu bestaunen. Zum Beispiel die "Große Freiheit Nr. 5" in der Medienfabrik, die
vom schwedischen Trio The Tiny und mit dem Andachtspop von Anna Ternheim eingeweiht
wurde. Schon betulich, aber es muss ja nicht immer die große Schwedensause sein. Nach zehn
Vernissagen tagsüber (siehe S. 9) und zwei Tanz-Premieren wäre sich das schon rein
energietechnisch nicht ausgegangen. Noch erdiger als die "Freiheit" haben Anita Fuchs und Resa
Pernthaller ihr Projekt "darfs ein bisschen weniger sein" am Mariahilferplatz hinbekommen.
Zwischen Esel, Gemüsegarten und Holzverschlag spielt da Melancholia bis spät nachts Violine.
Und noch eine neue Wunderkammer, noch dazu eine, die es auch nach dem herbst noch geben
wird: Das Forum Stadtpark hat seinen Salon im ersten Stock fertig und zur Eröffnung der
Ausstellung "moskau - graz" einem ersten Härtetest unterzogen. Allerfeinste Diskursdisko, da
können auch die Schweden noch was lernen. Vielleicht sogar die Berliner. Tanz das
Gänsefüßchen!

Thomas Wolkinger



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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