steirischer herbst 2007
Der Standard - 04.10.2007
Emotion und Religion
Die Grazer Ausstellung "Gestures of Infinity" zeigt zehn verschiedene Annäherungen an die Zeichen der Religion im Spannungsfeld von Fundamentalismus und Säkularisierung.

Religion oder Religiösität sind in der heutigen Gesellschaft höchst aufgeladen: durch den immer
stärker auftretenden Fundamentalismus und eine sich in gleichem Maße verstärkende
Säkularisierung. In diesem Spannungsfeld entstehen Emotionen, die sich in zehn künstlerischen
Positionen - wie die zehn Gebote - in der Ausstellung "Gestures of Infinity" widerspiegeln. Dabei
trifft man auf Anspielungen auf Terrorismus, Kapitalismus und Zerstörung ebenso wie auf
Spiritualismus, Heiligkeit und Blasphemie.

Manfred Erjautz erweitert seine Serie "Shelter" durch eine Rauminstallation mit drei
orientalischen Teppichen, die Assoziationen zu Gebetsteppichen ebenso zulassen wie zum
sagenumwobenen fliegenden Teppich.

Die auf den Teppichen liegenden Sicherheitsgurtteile verstärken den Eindruck der Anspielung
auf das Fliegen und das Attentat auf das World Trade Center im September 2001. Als ebenso
fundamentalistisch erweisen sich die von Artur Zmijewski in einem Künstleratelier für einen
Workshop zusammengebrachten Vertreterinnen unterschiedlicher gesellschaftlicher
Gruppierungen in Polen. Was da als kreativer Austausch beginnt, endet im flammenden Fiasko,
aber mit dem einen Unterschied: Es gibt keine Toten.

Hände gen Himmel
Die Arbeit von Robert Rumas kann als Entsprechung des Ausstellungstitels gesehen werden.
Rumas zeigt eine Serie von Fotografien, auf denen zwei Hände in unterschiedlichen Gesten dem
Himmel entgegengestreckt sind. Was auf den ersten Blick heilig und unantastbar erscheint, wird
bei genauerer Betrachtung durch Details gebrochen - bis aufs Blut abgebissene Fingernägel
sowie um die Handgelenke gezurrte Kabelbinder.

Da sind die Hände auf einmal nicht mehr frei, sondern in Fesseln gelegt, und die Geste der
betenden Hände kein hehres Symbol mehr, sondern verkrampfter Zwang. Am eindrucksvollsten
ist die Serie "K9 compassion" von Zlatko Kopljar. Der bosnische Künstler ist an den
"Schaltstellen der Macht" in New York auf einem weißen Taschentuch kniend mit gebeugtem
Kopf zu sehen.

Diese Geste kann als Anbetung oder Meditation gedeutet werden, jedenfalls wirkt die
Körperhaltung auf den ersten Blick demütig. Was kann der Einzelne ausrichten vor den Toren der
Börse, des Guggenheim Museums oder des UNO-Hauptquartiers? Was nützt das Gebet oder die
Bitte? Welche Gesten bleiben noch? Die Präsentation dieser Arbeit in den katakombenartigen
Gewölben des Priesterseminars intensiviert deren Wirkung ungemein, ebenso wie "Rosso
Babele" von Grazia Toderi, eine infernale Videoinstallation von sich aufbauenden und in sich
zusammenbrechenden Lichttürmen, die vom unermesslichen Rausch des ständigen Wachstums
erzählen. Weniger subtil, aber deswegen nicht weniger eindrücklich ist das Triptychon "Words"
von Hannes Priesch, der durch minimale Veränderungen der Syntax aus harmlosen, positiv
besetzten Worten aggressiv-kämpferische Ausdrücke werden lässt.

Das Werden und Vergehen im Moment der letzten Ölung wird bei Abigail O'Brien ebenso
religiös wie emotional aufgeladen wie eine alltägliche Straßenszene in Istanbul bei Kimsooja, der
Kitsch in den "erleuchteten" Bildern von Marta Deskur ebenso skurril wie der Op-Art-mäßige
Flash von Gottesnamen einer russisch-orthodoxen Tradition bei Gor Chahal.

Die Geste, die in der christlichen Kunst seit jeher eine nicht wegzudenkende Rolle in der
bildlichen Darstellung gespielt hat, erfährt in ihrer Bedeutung eine Erweiterung, ja, eine
Renaissance, wird neu bewertet und mit aktuellen Aussagen aufgeladen.

Nora Theiss



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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