steirischer herbst 2007
profil - 17.09.2007
Alte Avant-Garde
Festival. Zwischen Skandal, Grazkunst und Weltanspruch: Das Mehrspartenfestival steirischer herbst, das diese Woche eröffnet wird, ist in die Jahre gekommen - es feiert sein 40-jähriges Bestehen.

Alkohol fließt in Strömen. Aber man trinkt nicht nur, man redet auch darüber. "Wenn i nix trink,
häng i völlig in der Luft", meint ein junger Mann, dem Burgtheaterdeutsch fern. Optimist ist er
auch nicht: "I find's eh scho' zynisch genug, dass i überhaupt geboren bin." Eskalation ordinär: In
Wolfgang Bauers Stück "Gespenster" hängen gelangweilte Expaare in einer Wohnung herum, ein
Dichter gibt sich den Spitznamen "Genie" - und am Ende muss eine Frau ins Irrenhaus, weil sie
von den anderen gnadenlos fertiggemacht worden ist. Bezaubernde Nachmittage sehen anders
aus.

Wolfgang Bauers zynische Parabel auf bürgerliche Regeln sorgte bei ihrer Uraufführung 1975
im Grazer Schauspielhaus für enorme Erregung. Das live im ORF übertragene Stück "verweile
vorwiegend und genüsslich im Fäkalbereich", kritisierte etwa die "Tagespost", ein empörter Leser
empfahl dem Autor im selben Blatt "ein Jahr Arbeitslager bei Alkoholentzug". Damit war das noch
junge Avantgardefestival, der steirische herbst, gegründet 1968, ganz in seinem Element: dem
deftigen Skandal.

"Graz war damals ein reaktionärer Sumpf, man holte an moderner Kunst nach, was andernorts
längst durch war", erinnert sich Alfred Kolleritsch, Mitbegründer des Forum Stadtpark und
Herausgeber der Literaturzeitschrift "manuskripte". Die sozialen und kulturellen Diskrepanzen im
Graz der späten sechziger Jahre waren offenkundig: Im Frühling marschierten die Alt- und
Neonazis beim so genannten "Steirischen Frühling" durch die Stadt, im Oktober knallte der
"steirische herbst" seinen Besuchern künst-lerische Avantgarde vor den Latz. "Die Druckwellen
sind dort angekommen, wo sie hin sollten", reflektiert Kolleritsch. "In Wien wäre vieles verpufft,
aber Graz hatte eine ausgezeichnete Enge."

Provinz. Ein Festival zwischen "Grazkunst" (Werner Schwab) und Weltanspruch, zwischen
Tradition und Aufbruch: Hanns Koren, aufgeschlossener ÖVP-Politiker und Festivalgründer,
verteidigte in einer Rede zum Skandal um Wolfgang Bauer den Dramatiker - und sagte dessen
Gegnern nach, dass sie nur "lächerlich" seien, wenn sie ihre "Provinz verleugnen" und die "flotten
Weltmänner" spielten.

Damals ging Veronica Kaup-Hasler gerade in die Volksschule. 1968, im Jahr der Festivalgründung,
geboren, sieht die 2006 angetretene Intendantin des steirischen herbstes die
Lage heute weitaus entspannter: "Ich habe keinen sentimentalen Blick auf den Mythos Graz,
aber ich mag das Festival, weil es sich ständig neu erfunden hat." Oft totgesagt - und gerade
dadurch lebendig geblieben. In der Tat ist der steirische herbst in seiner zum Programm
erhobenen Wandelbarkeit ein Festivalphänomen. Von Beginn an war klar, dass hier alles
möglich sein musste: Theater, Oper, Tanz, städtische Interventionen waren ebenso angesagt wie
bildende Kunst, Architektur, Neue Medien oder Popkonzerte, Partys und Filme. Selbst Hardcore-
Theorie blieb kein Nischenprodukt. Um das partielle Scheitern kam dennoch keine herbst-
Intendanz herum, denn niemand kann alles: Während Intendantin Christine Frisinghelli (1996-
1999) in avancierten Ausstellungen wie "<hers>" weibliche Videokunst erfolgreich auslotete und
Poptheoretiker aus dem "Spex"-Umfeld diskutieren und Platten auflegen ließ, war ihr bei den
Theaterproduktionen wenig Fortüne vergönnt. Peter Oswald (2000-2005) wiederum punktete mit
der Uraufführung des Stücks "wilde" von Händl Klaus, das danach zum renommierten Berliner
Theatertreffen eingeladen werden sollte. Als Ausstellungsmacher sah er mit populistischen
Großschauen wie "M_ARS - Kunst und Krieg" hingegen eher alt aus.

Avantgarde. Natürlich ist der steirische herbst als Kind der 68er-Generation in die Jahre
gekommen: Der einstige Avantgarde-Begriff hat in Zeiten der globalen Kunstströme längst
ausgedient. Exklusivität ist schwierig geworden, die Talent-Scouts sind schnell: Noch ehe ein
Stück der blutjungen Grazer Autorin Gerhild Steinbuch, Jahrgang 1983, im Rahmen des Festivals
uraufgeführt werden konnte ("Nach dem glücklichen Tag", 2004), war sie an der Berliner
Schaubühne bereits eine gefragte Nachwuchskraft. Von Steinbuch, die seit einem halben Jahr in
Wien lebt, ist heuer eine weitere Uraufführung angesetzt (Programm siehe Kasten Seite 141).
Nach wie vor stellt sich die Frage: Wie viel Graz steckt im steirischen herbst? Noch immer muss
das Multifestival, das über keine eigenen Spielstätten verfügt - vom Finanzdesaster der Helmut-
List-Halle, die mittlerweile wieder vom Festival entkoppelt ist, einmal abgesehen -, einen
schwierigen Spagat hinlegen: Es spielt Geldgeber und Kunstvermittler diverser Grazer Szenen,
will aber zugleich Partner im internationalen Kunstzirkus sein. Mit einer jährlichen
Basissubvention von 2,65 Millionen Euro steht das Festival auf sicherem Boden, obwohl die
Kosten für die List-Halle noch immer zu Buche schlagen. Neo-Intendantin Kaup-Hasler sieht ihr
Budget, im Vergleich zu dem ihres Vorgängers Peter Oswald, um rund 220.000 Euro verringert.
Es ist Veronica Kaup-Haslers zweites Jahr; vorgenommen hat sie sich, "ein flirrendes
Programm zu machen, das auch neue Publikumsschichten erschließt". Im Vorjahr legte sie
erfolgreich einen raffinierten Theater- und Performance-Parcours mit zahlreichen Koproduktionen
hin, der darauf verzichtete, gängige Stadttheaterkonventionen zu verdoppeln. Und sie hat Mut
zum Risiko: Sie setzte auf kleine Produktionen und kaum literarische Textvorlagen. Auch als
Ausstellungsmacherin betrat sie spannendes Neuland. Die letztjährige Eröffnung mit Georg
Nussbaumers Klanginstallation "Schwerefeld mit Luftabdrücken" wurde von der Kritik allerdings
bemäkelt, und beim Auftritt des deutschen Liedermachers Peter Licht im etwas ungemütlichen
Festivalzentrum kam statt angekündigter Kapitalismuskritik bloß Jugendzentrums-
Kuschelstimmung auf.

Die Zeit der Skandale ist offensichtlich vorbei - angriffslustig und selbstironisch ist das Festival
dennoch geblieben: Im Zuge des Projekts "Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-
Wissen" wird beim steirischen herbst 2007 nun neben Kunstministerin Claudia Schmied und
Ausstellungsmacher Peter Weibel auch Intendantin Kaup-Hasler als Expertin Rede stehen. Ihr
viel versprechendes Thema: "Korruption durch Subvention. Klinkenputzen - aber richtig".
40 Jahre und kein bisschen sentimental: Statt einer Gedenkausstellung zum Festivaljubiläum
setzt man heuer unter dem Motto "Nahe genug" vom 20. September bis zum 14. Oktober auf
erneute Befragung der klassischen Avantgarde - die französische Star-Choreografin Mathilde
Monnier etwa zeigt eine neue Arbeit ("tempo 76") - und auf Ausstellungsprojekte, die sich jenseits
der offiziellen Geschichtsschreibung bewegen: Das englische Künstlerduo plan b schickt die
Zuschauer auf eine Audiotour durch Graz, um private Geschichten zum Mythos "Grazkunst"
erfahrbar zu machen. Eines der Highlights verspricht Tim Etchells' erste Arbeit mit Kindern, "That
Night Follows Day", zu werden. Die Grazer Autorin Gerhild Steinbuch schreibt in ihrem Stück
"verschwinden" den Antigone-Mythos neu (Regie: Roger Vontobel), und zur Eröffnung wird die
Helmut-List-Halle von den Krachexperten Staalplaat Soundsystem erbeben: Musik aus
Waschmaschinen, Staubsaugern und Ventilatoren.

Karin Cerny



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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