steirischer herbst 2007
Der Standard - 04.10.2007
Antigone mit Radiohead


Die junge Dramatikerin Gerhild Steinbuch setzt sich in ihrem Stück "Verschwinden oder Die Nacht
wird abgeschafft" mit dem Altern und der Sprachlosigkeit auseinander. Kommenden Mittwoch ist
es im Rahmen des steirischen herbstes zu sehen.

In Gerhild Steinbuchs neuem Stück trifft Sophokles auf Thom Yorke, die antike Tragödie auf
den Popsong. "Verschwinden oder Die Nacht wird abgeschafft" heißt das Auftragswerk, das die
Autorin für den steirischen herbst verfasst hat. Der Titel kam, als sie beim Schreiben den
Radiohead-Song "How To Disappear Completely" im Ohr hatte: "Fühlte sich an wie das Stück."
An sich habe ihre Arbeit mit Popkultur aber nicht viel tun, erklärt die 24-Jährige: "Ich beobachte
das, ich bin neugierig darauf, aber ich mache was anderes."

Stimmt: Steinbuchs Stücke sind nicht leicht. Sie zeichnen sich durch eine eigene, mitunter
sperrige und störrische Sprache aus und handeln vom Zerfall der Familie und - im Fall von
"Verschwinden" - vom Problem der heutigen Gesellschaft mit dem Altern. Keiner will mehr alt
werden, und deshalb will schon gar niemand mit jenen, die bereits alt sind, konfrontiert werden.

"Was einen interessiert, besteht ja nur zum Teil aus dem, was man selbst erlebt hat", erklärt
Steinbuch die angesichts ihrer jungen Jahre etwas ungewöhnlich anmutende Wahl der Thematik.
"Die anderen Teile sind Vorstellungskraft und Beobachten. Also kann auch ich übers Altern
schreiben, für mich ist das ein relevantes Thema."

Sophokles' "Antigone" diente ihr "als Link, als Gerüst, von dem ich weggearbeitet habe". Gereizt
habe sie an dem antiken Stoff für die heutige Zeit Antigones Vermännlichung: "Sie muss Kreon
werden, um mit ihm in Dialog treten zu können. Interessiert haben mich auch die Frage, was
dem Gottglauben von Antigone heute entspricht, und die Geschwisterbindung als stärkste
zwischenmenschliche Bindung, die an der Struktur einer moralisch genormten Gesellschaft
kaputtgeht."

"kopftot"
Gerhild Steinbuch zählt zu den produktivsten und am häufigsten gespielten Bühnenautorinnen
der jungen Generation. Ihre Stücke "kopftot", "Nach dem glücklichen Tag", "schlafengehn" und
nun "Verschwinden" sieht sie als für sich stehende Arbeiten, aber durchaus auch in einem
Zusammenhang: "In jedem meiner Stücke kommt Missbrauch vor, in verschiedenen Formen und
nicht immer explizit. Was sie noch mehr verbindet, sind sprachliche und rhythmische Muster, die
als Variation wieder auftreten." In "Verschwinden" ist es der Satz "Ich bin froh, dass wir gehörn",
der häufig wiederholt wird. Vieles, was die Figuren in dem Stück sagen, scheint Zeugnis ihrer
Unfähigkeit zu sein, miteinander zu reden. Es sind Nullsätze. "Wiederholen, um zu überzeugen"
nennt es die Autorin, "vordergründig den andren, hinter- und hauptgründig sich selbst."

Kommunikation ist in Steinbuch-Stücken stets schwierig: "Die Figuren bemühen sich darum,
haben aber solche Angst davor, dass sie erst gar nichts sagen. Und dann reden sie im falschen
Moment von sich. Weil der Zeitpunkt nicht passt, verfehlen sie sich wieder. Im Vergleich zu
,kopftot' öffnet sich die Familie jetzt aber langsam. Die Sprachform wird konkreter, und alles ist
weniger eitel, hoffe ich."

Für die Entwicklung der gebürtigen Mödlingerin war Graz wichtig. Dort hat sie, in den Uni-T
Dramatikerwerkstätten bei Hermann Schweighofer, erste dramatische Schreibversuche
unternommen. Nach Graz kommt sie trotz ihres Umzugs nach Wien gern: "Hin und wieder nach
Graz fahren und dann die richtigen Leute treffen ist ein bisschen wie Heimkommen. Aber es gibt
noch eine Welt außerhalb, das kann man in Graz leicht vergessen."

Inzwischen zählt Steinbuch, deren Stücke auch schon auf zahlreichen deutschen Bühnen
gelaufen sind, zu den wenigen österreichischen Autoren, die von ihrer literarischen Arbeit leben
können. "Ich hatte das Glück, dass ich auch Förderpreise und Stipendien gekriegt habe", sagt sie.
"Mittlerweile klappt's mit dem Leben, mit Wohngemeinschaft und allem halt, aber das ist mir
ohnehin lieber so."

Über die Theaterszene hinaus Bekanntheit erlangte die Autorin durch ihren Auftritt beim
Bachmann-Preis 2005. Neben Stücken ist seit geraumer Zeit eine längere Prosaarbeit im
Entstehen, an der sie ab Mitte Oktober in Stuttgart als Stipendiatin auf Schloss Solitude intensiv
arbeiten möchte.

Was für alle ihre Texte gilt: "Einmal kapieren, wie das funktioniert und was ich will und wo ich
hin will, besonders mit der Sprache."





Sebastian Fasthuber



20/09 - 14/10/2007
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