steirischer herbst 2007
Wiener Zeitung - 05.10.2007
Fröhliche Urständ' der "Musique concrète"
Musikprotokoll des steirischen herbstes

Alte Hüte.
Augenklappen aufgesetzt und hinein ins Klangabenteuer, auf das allein es dem in Madrid
geborenen Francisco López ankommt: Er will alle anderen Sinnenseindrücke ausblenden. Der
Zuhörer soll nicht nachdenken über das Woher und Wie der Klänge. Und so fühlt man sich eine
gute Dreiviertelstunde lang wie als Teil einer geräuschvollen Riesenmaschine. Es rattert und
knattert, klappert und knirscht, surrt und rumpelt bedrohlich. Immer tiefer wird man hineingezogen
in dieses akustische Räderwerk - oder macht sich die plastisch ausgeformte Klangmaschinerie in
Wirklichkeit her über den Gehörsinn der Zuhörer?

Nahe dran ist man da jedenfalls, unglaublich nahe. Und damit hat Francisco López in dieser
Uraufführung im Grazer "Dom im Berg" jedenfalls das "Musikprotokoll"-Thema "Nahe genug"
mindestens zu hundertfünfzig Prozent erfüllt.

Einen Gebäudekomplex bringen seit gut einer Woche Geert-Jan Hobijn und Carsten Stabenow
dem Grazer Publikum näher: Sie und ihre Techniker-Kollegen von "Staalplaat Soundsystem"
haben sich die Aufgabe gestellt, die Helmut-List-Halle zum Klingen zu bringen (darüber hat die
"Wiener Zeitung" kürzlich berichtet.

Zum Abschluss gab's am Mittwoch eine Reihe von "Schülerarbeiten", denn es blieb nicht bei
einer Konzertserie, sondern es gab auch einen Workshop in Sachen "klingende
Veranstaltungshalle". Witzig zum Teil, aber nicht wirklich ergiebig. Heuer wird das Vierzig-Jahre-
Jubiläum des "Musikprotokolls" im Steirischen Herbst gefeiert. Hat man solche Dinge wie an
diesem Abend nicht in den "wilden" Endsechziger- und Siebzigerjahren genau so schon gehört?

Ganz lustig . . .
Da sucht eine neue Komponistengeneration und findet. Die "Musique concrète", ein alter Hut,
wird neu drapiert und stolz ausgestellt. Im Lauf der 40 Jahre haben wir Solches schon oft gehört.
Damals war der derzeitige "Musikprotokoll"- Leiter Christian Scheib noch ein Taferlklassler.

Lustig ist es allemal, wenn zehn "jigdrums" das Heimwerkerherz höher schlagen lassen:
Holzkisten mit Stichsägen oder Schwingschleifern, deren Mechanik Trommelmechanismen
antreiben, die ihrerseits die Paneelwände des Raums "beklopfen". Ferngesteuert, also wie von
Geisterhand bewegt, knattern sie feurig drauflos oder produzieren impulshafte Rhythmusmuster.

Andere Stücke weckten Jugenderinnerung an jene Programmschiene in den ersten zehn,
fünfzehn "Musikprotokoll"-Jahren, als man jedes Jahr einmal in der Grazer Franziskanerkirche
elektronischer Musik lauschte. Über die damaligen technischen Mittel kann man heute nur noch
lachen - aber mit den technischen Möglichkeiten haben Inspiration, klangliche und formale
Überzeugungskraft nicht unbedingt zugenommen.

Darüber durfte man nachdenken, als am Mittwoch spätabends der Brite Philipp Jeck seine
beiden Antik-Plattenspieler im Lederkoffer in Betrieb nahm. Der gute Mann ist die Allegorie des
Retro-Stils. Er legt unverdrossen die guten alten Vinyl-Singles und LPs auf, destilliert und mischt
in archaischer Loop-Technik mit Vorliebe stehende Klänge. Und was da live wächst unter den
flinken Fingern dieses DJ-Scafell-Piki hat entschieden mehr Überzeugungskraft und Spontaneität
als das, was die meisten Jungen mit überzüchteter Elektronik schaffen. Also nicht nur: Alles da
gewesen. Alles schon besser da gewesen!


Reinhard Kriechbaum



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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