steirischer herbst 2007
Kleine Zeitung - 22.09.2007
Verkaufte Frauen und visionäre Luftballons
Ausstellungen rücken im "steirischen herbst" Fragen zur Gerechtigkeit in der Welt ins Zentrum. Sichtbar werden globale Ungerechtigkeiten.

Marc Weis und Martin De Mattia alias M+M verkaufen ihre Ehefrauen. Zwei Stunden kosten
500 Euro, die geschäftliche Abwicklung ist in der Grazer Neuen Galerie möglich. Oder direkt über
www.meettheartistswife.com. Künstler als Zuhälter? Zumindest virtuell, das Stelldichein mit den
Künstlerfrauen findet in Second Life statt.

Ob hier ein faires oder unfaires Geschäft läuft, darf diskutiert werden. Zumindest findet der
Handel ohne Zwänge und mit Einverständnis aller Beteiligten statt. Das ist von vielem, was die
Ausstellung "Un/Fair Trade" ins Zentrum rückt, nicht zu sagen.

Die von Andreas Gursky fotografierten vietnamesischen Rattan-Flechter haben sich ihren Job
vermutlich nicht ausgesucht. Noch weniger die Kinder auf den rund um den Globus
aufgenommenen Bildern von Fernando Moleres - Ausgebeutete in miesesten Arbeiten. Auch die
Menschen in Allan Sekulas Film "The Lottery Of The Seas" sind dem Meer weniger ausgesetzt
als globalen Wirtschaftsmechanismen.

Nicht immer führen Künstler so direkt an die Abgründe. Auch Witz und Ironie werden als
taugliche Methoden sichtbar, Fragen zu formulieren. Casey McKees Malerei auf Fotobasis bringt
höchst komisch Protagonisten des freien Markts ins Bild. So einen "Hedge Fund Trimmer" mit
Sense oder "Shareholder Satisfaction" als Schäfer-Idyll.

Das Duo Elmgreen & Dragset bringt mit dem Foto ihres Prada-Shops mitten im
westtexanischen Niemandsland Absurditäten der schönen neuen Warenwelt auf den Punkt. Eine
Globalismus-Satire in Landkartenform steuert Wolfgang Temmel bei. Gabriele Sturm verfolgt
Transportwege von Gemüse auch mit produktivem Interesse an der Ästhetik von Verpackungen.

"Un/Fair Trade" knüpft an "Slum" im Vorjahrs-"herbst" an, auch an andere Projekte der Neuen
Galerie der vergangenen Jahre ("Inklusion/Exklusion", "Mars"). Die Verknüpfung von Kunst,
Ökonomie, Ökologie und Gesellschaftspolitik ist diesmal besonders überzeugend gelungen.

Großes Lob also den Kuratoren Christian Eigner, Günther Holler-Schuster und Peter Weibel für
eine höchst informativ präsentierte Schau. Auch dank Internet- und Film-Stationen (mit Werken
wie "Darwin's Nightmare" und "Megacities"). Nicht zu vergessen: der exzellente Katalog inklusive CD-Rom.

Die Ästhetik ökonomischer Prozesse, die omnipräsente Bilderwelt beschleunigter
Globalisierung spielt naturgemäß auch im "herbst"-Beitrag der Camera Austria "What We Bought"
eine Rolle. Manfred Willmanns "Chaosbilder" zeigen, was beispielsweise ihr Autor alles schon
gekauft hat. Der beste Beitrag der in Summe disparat wirkenden Schau ist "Home2" des
Schweizers Olaf Breuning. Ein in Heimkinomanier gedrehtes Video, das einem fidelen Reisenden
um die Welt folgt und in entlarvenden Klischees die allgegenwärtigen enormen Bruchstellen in
nur scheinbar global geglätteten Oberflächen sichtbar macht.

Bruchstellen, für deren Begutachtung man freilich nicht tausende Kilometer reisen muss: Das
Projekt "Volksgarten" geht von den Realitäten der Grazer Bezirke Lend und Gries aus und nimmt
"Die Politik der Zugehörigkeit" unter die Lupe. Helmut & Johanne Kandl bringen ihre dafür
entwickelte Vision via Luftballon unter die Menschen. In den im erwähnten Zielgebiet vor allem
gesprochenen Sprachen liest man auf ihnen: "Wir werden hier leben und glücklich sein."

Musiziert wird jedenfalls schon jetzt: Morgen (ab 19 Uhr) das von der griechischen Künstlerin
Maria Papadimitriou initiierte Volksgarten Orchestra im Orpheum.

WALTER TITZ



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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