steirischer herbst 2007
Kleine Zeitung - 23.09.2007
Regelwerk und Welterklärung
Ein außergewöhnlicher Bühnenabend steht am "herbst"-Beginn.

Vorweg einige Textauszüge.
Ihr füttert uns.
Ihr zieht uns an.
Ihr wacht über unseren Schlaf.
Ihr erzählt uns, dass die Welt einmal voller Dinosaurier war.
Dass es vielleicht bald keine Wale mehr geben wird.
Ihr sagt, wir sollen die Augen schließen, tief Atem holen und an etwas Schönes denken.
Ihr lehrt uns, bitte zu sagen.
Ihr horcht an unserer Türe und schaut von Zeit zu Zeit, was wir so tun.
Ihr sagt, dass wir doch endlich unsere gottverdammte Klappe halten sollen.
Ihr bringt uns das Schwimmen bei.
Ihr beobachtet uns, wenn ihr glaubt, wir merken es nicht.
Ihr beurteilt uns.
Ihr versucht, uns zu lieben.
Ihr sagt, 'alles wird gut'.
Über 27 eng bedruckte Seiten füllt der Kanon kindlicher (Selbst-)Feststellungen, die zu einem
sehr dichten, etwa 70 Minuten langen Bühnenabend werden. Die flämische Theatergruppe
Victoria hatte 2006 den britischen Autor Tim Etchells eingeladen, eine Arbeit zu schreiben, die
von Kindern für Erwachsene gespielt wird: "That Night Follows Day" ist das Ergebnis.
Es ist atemberaubend, mit welcher Präzision 15 Kinder aus Gent Etchells Text sprechen.
Zwischen sieben und 13 Jahren sind sie jung und dennoch gab es bei der Premiere keinen
Hänger, keinen verpatzten Einsatz. Erwähnt sei auch der präzise Einsatz englisch/deutscher
Übertitel.
Der Text wächst im Lauf des handlungsarmen Abends zu einem gigantischen Regelwerk aus
Zwang, Geborgenheit und Welterklärung. - "Nahe genug", das dialektische Leitmotiv des
"steirischen herbstes 2007" findet mit diesem Werk eine erste, total gültige Entsprechung.
Heftiger Applaus, der wohl auch die eigene Betroffenheit wegklatschen sollte, beschloss den
Abend.

FRIDO HÜTTER



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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