Spex – Magazin für Popkultur (online) - 26.10.2007
Steirischer Herbst
Konfetti-Festivalismus
»online
Vielleicht machen Festivals auch einfach keinen Sinn, der außerhalb
ihrer selbst läge, dachte ich und schlief ein. Wenige Stunden später,
der Nachtzug hatte mich schon nach Linz gebracht und ich fuhr in einem
dieser teppichbequemen Intercitys der ÖBB in Richtung Graz zum Steirischen Herbst,
wedelten mir Bäume in Rot, Gelb, Grün und Braun aus den Tälern der
Steiermark zu. Ich konnte noch nicht ahnen, dass sie damit etwas vorweg
nahmen. Den Sinn des Steirischen Herbst im nullsiebener Jahrgang,
Konfetti.
Der Sinn eines Kulturfestivals liegt darin, es zu veranstalten, es
ist also ein Sinn auf Seiten der Produzierenden. So mag das Grazer
Publikum einen wie auch immer gearteteten Nutzen aus dem Steirischen
Herbst ziehen, ebenso wie politisch Interessierte der Region. Denn Graz
gilt als politisch stockkonservativ bis reaktionär, und so ist denn der
Steirische Herbst vor vierzig Jahren aus etwas hervorgegangen, was sich
als Gegenkultur verstand. Avantgarde, Progression, Reibungen
verursachen, so guttural klingen die Selbstverständnis-Schlagworte der
gründenden Generation.
Am Bahnhof holt mich Festival-Dramaturgin Kira Kirsch ab, setzt mich in
einen Bus mit einem halbgenialen und einem verrückten Schweden, einer
Tänzerin aus Australien und einem Festival-Chefdramaturgen, und
zusammen fahren wir raus aus der Stadt. Das passt. Das erste, was ich
von Graz sehe, ist das Umland; das erste, was ich vom Steirischen
Herbst sehe, gehört überhaupt nicht zum Festival. Aber gewichtige Teile
des Festivals machen einen Ausflug dorthin. Die Schweden und die
Australierin übrigens sind International Festival.
Sie begreifen Architektur als Performance und haben das Festivalzentrum
des Steirischen Herbst 2007 gebaut. Ihr Schlagwort lautet »Confetti Urbanism«.
Gemeinsam fahren wir zum entlegenen Hof auf dem Hügel. Wirtschaften
laden zum Sturm, wie hier der Federweisser heißt. Als wir ankommen,
bouncen wir bald begeistert. In einer alten Scheune begaffen wir die Weltmaschine des Franz Gsellmann. Bauer Gsellmann hat 30 Jahre lang an ihr gebaut,
nachdem er auf der Expo 1958 das neu erbaute Atomium in Brüssel gesehen
hatte. Die Weltmaschine mit dem Atomium in ihrem Innern, ihren vielfach
komplizierten Mehrfachantriebsmechanismen, ihrer Produktion immensen
Lärms, ihrer Krippe von Betlehem, ihrer zigtausend Einzelteilen aus
Mechanik und Dekoration zeigt die Vorstellungswelt eines
österreichischen Bauern in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts; sein
Zweck lag in einer Art Bestätigen menschlichen Ingenieurleistungstums,
das Gsellmann als Gabe Gottes empfand. Ihr Sinn aber lag im Erbauen der
Maschine selbst.
Erst gestern habe sich ein Journalist des ORF
im Interview beklagt, dass es keine Skandale mehr gebe. Die Klage der
Festivalleiterin Veronica Kaupp-Hasler fällt bei einem Schwatz im Büro
des Steirischen Herbst. Der Skandal also ist es, der die
Berichterstattung sinnvoll macht; der Skandal liefert Bilder und kann
vor allem jene »großen« »Debatten« anstiften, von denen das Feuilleton
so lebt. Veronica Kaupp-Hasler findet Skandale »retro«, wie sie in der
Tageszeitung Die Presse so schön sagt. Sie muss das deshalb betonen, weil das ORF nicht als
einziges Medium die großen Skandale vermisst (die Skandale hier
aufzählen würde übrigens eher langweilen). Ich erlebe folglich an
meinem Grazer Wochenende einen Ausschnitt aus einem post-heroischen
Festival. Sehe die freie Gruppe Theater im Bahnhof ein abgeerntetes Maisfeld bespielen, und die Autos am Rande des Feldes
fahren dann immer besonders langsam, wenn die Ober-Pornoqueen in
»Zwischen Knochen und Raketen« zu einem ihrer drei Gatten geht und sich
scheinbar ganz auszieht. Wenn das Maisfeld mal eine 70 000qm-Wohnung
bedeutet, mal die postsowjetischen Republiken und mal die ganze Welt,
dann erzählen Theater im Bahnhof mit diesem Gleiten der Bedeutungen
ziemlich viel von heute.
Oder unten im Festivalzentrum The Theatre, erbaut von International Festival: Dort zeigt die italienische Gruppe Orthographe
ein nur fünfzehnminütiges Stück über das Sehen. Das Publikum nimmt
Platz inmitten einer Camera Obscura, und die erzeugt mit ihren so
knappen Schärferäumen so unvertraute Bilder. So wird das Festival ohne
Skandal zum Fest. Am Abend lege ich mit Kira zusammen im The Theatre
auf, Mårten Spångberg und Tor Lindstrand aka die zwei Schweden von
International Festival haben uns dazu eingeladen, unter ihrem
konfettibedruckten Festivalzentrum die Party zu kicken. Und so werde
auch ich Teil der Performance-Architektur von International Festival,
zu der ansonsten noch Aktionen wie »Pimp My Shirt« oder Waffelbacken
zählen. Einen Abend später spielen Norman Palm und Florian Horwath.
Hinterher: Postrockstarmäßiges Ablungern in diesem wunderbaren Raum
wieder, dem The Theatre. Illusionslos auf meterlangen, dicken
Stoffschlangen. Ich fühle mich wie Frank Castorf, Kira meint aber, in Graz müsse man alles mit Werner Schwab messen. Ein Fest!
Christoph Braun
20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst