steirischer herbst 2007
Falter - 17.10.2007
Es bleibt in der Familie
Gerhild Steinbuchs neues Stück "verschwinden" wirft viele Fragen auf. Die Uraufführung liefert leider die falschen Antworten.

Eines der musikalischen Leitmotive dieser Inszenierung ist ein Song von Joanna Newsom. Die junge amerikanische Musikerin, die die Harfe in der Popmusik salonfähig gemacht hat, passt gut in die Uraufführung eines Stücks von Gerhild Steinbuch. Wenn man so will, ist Steinbuch die Joanna Newsom der deutschsprachigen Dramatik. Auch Steinbuch ist sehr jung, auch die Autorin
hat einen eigenwilligen Sound entwickelt, auch sie ist damit ungewöhnlich schnell auf offene Ohren gestoßen. "verschwinden oder Die Nacht wird abgeschafft" ist bereits das zweite Stück der
erst 24-jährigen Dramatikerin, das beim steirischen herbst präsentiert wird; zwei weitere Steinbuch-Stücke wurden in Deutschland (Essen, Mainz) uraufgeführt.

Thematisch hielt es Steinbuch bisher wie die Mafia: Alles bleibt in der Familie. In "Kopftot" geht's um eine junge Frau, die nach dem Tod der Mutter mit dem Vater zusammenlebt und sich einen Bruder herbeifantasiert; in "Nach dem glücklichen Tag" (uraufgeführt beim herbst 2004) besucht eine junge Frau mit ihrem Freund die verfeindete Mutter; in "Schlafengehn" spielt ein alter Mann mit einem jungen Ausreißer Familie. In "verschwinden", einer Paraphrase auf die Sophokles-Tragödie "Antigone", setzt Steinbuch einen drauf: Diesmal werden zwei Familiengeschichten miteinander verstrickt. Da ist einerseits die sehr innige, aber "nicht sexuelle"
Beziehung der jungen Lara zu ihrem Bruder Oed und andererseits die Familie von Laras Freund Haimon mit dem sportbegeisterten Papa Heinz und der passiven Mama.

Von einem "well-made play" sind Steinbuchs Stücke weit entfernt. Knackige Dialoge oder Situationen gibt es nicht. Quiet is the new loud. Das macht die Texte interessant, aber auch hermetisch. Und nie war Steinbuch so kryptisch wie diesmal. Wer "verschwinden" liest, steht vor einem Rätsel. Worum geht's? Ist das eine Zukunftsvision oder ein Traumspiel? Und was hat das jetzt eigentlich mit "Antigone" zu tun?

Fragen über Fragen, aber zum Glück gibt's ja Regie. Der junge Schweizer Roger Vontobel, der schon Steinbuchs "Schlafengehn" (2006 in Essen) inszenierte, entschlüsselt den Text so gründlich, wie man es eigentlich gar nicht wissen wollte. Heinz ist Anführer einer rechten Partei ("Heinz Partei"), die mit ordentlicher Familienpolitik Wahlkampf macht; für Alte ist in dieser Ideologie der Volksgesundheit kein Platz. Sein Gegenspieler ist Oed, der als Altenpfleger arbeitet und in seiner Freizeit kleine Attentate veranstaltet; er beschüttet Heinz mit einer schleimigen
Flüssigkeit, dessen herzhafte Replik ("G'sindel, g'schissenes!") steht bei Steinbuch natürlich nicht im Text. Auch die witzige Paraphrase auf einen berühmten Antigone-Satz ist eine Regie-Erfindung: "Ungeheuer ist viel, und nichts ist ungeheurer als der Heinz." Und während im Text nur ein "Alter" auftaucht, bietet Vontobel gleich ein ganzes Dutzend Seniorinnen und Senioren auf, die als Mischung aus antikem Chor und Gesangsverein durch die Studiobühne der Oper geistern. Am Ende werden sie von Laura und Haimon in einer Massensterbehilfeaktion alle umgebracht.

Warum genau, bleibt auch hier unklar. Abgesehen davon, passt die laute, grelle Popkindertheaterinszenierung natürlich überhaupt nicht zu Steinbuchs filigranem Text. Das könnte spannend sein, aber die Harfe ist verstimmt.

Nächste Vorstellungen am 18. und 23.10. sowie am 4., 11. und 12.11. auf der Studiobühne der Grazer Oper. Karten: Tel. 0316/8000 oder www.buehnen-graz.com

Wolfgang Kralicek



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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