steirischer herbst 2007
Falter Steiermark - 26.09.2007
Hör mal, was da wummert
Mit Lionel Marchetti steht intensive elektronische Klangforschung am Beginn des Musikprotokolls, das heuer wie der steirische herbst seinen Vierziger feiert.

Das Warten hat ein Ende: Statt der in Graz immer wieder gespielten sicheren Bänke Mozart,
Beethoven und Brahms gibt es mit dem Musikprotokoll im steirischen herbst, das wie das Festival
heuer seinen Vierziger feiert, wieder die Möglichkeit, aufregende Entdeckungen im Feld der
Gegenwartsmusik und dem nicht minder spannenden Feld der elektronischen Musik zu machen.
Dass sich die zwei Genres so mühelos in einem Festival vereinigen, ist wieder der bewährten
und abenteuerlustigen Programmierung des Verantwortlichen Christian Scheib zu verdanken, der
dieses Jahr noch zusätzliche Verstärkung von Ö1-Ikone Susanna Niedermayer bekommen hat.

"Environmental Sound Matter" ist das Motto der diesjährigen "Konzertreihe aktueller
elektronischer Musik" als Teil des vielarmigen Oktopus Musikprotokoll. Kuratiert wird diese Reihe
von Heike Schleper und Bernhard Schreiner, zwei Mitgliedern des Frankfurter Künstlerkollektivs
"Unfriendly Takeover", über die Bühne geht sie in einer zum Club und Konzertraum
umfunktionierten Lagerhalle der früheren Medienfabrik am Freiheitsplatz. "Environmental Sound
Matter" will laut Eigendefinition "verschiedene Positionen aktueller elektronischer Musik
versammeln" - was seit Jahrzehnten so ziemlich jedes elektronische Festival versucht -,
allerdings unter "besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses des Musikers zum
Klangmaterial als Ausgangspunkt des Komponierens".

Das klingt spannend, denn zwischen der (nur Eingeweihten verständlichen) Programmierung
esoterischer Sound-Patches unter Linux und der direkten physischen Manipulation von bespielten
Klangmaterialien, Schallplatten etwa, gibt es unzählige Möglichkeiten, eine elektronische
Komposition entstehen zu lassen. Das Wort "Komposition" sollte in der elektronischen Musik
heutzutage sowieso nicht mehr allzu wörtlich verstanden werden, denn ob der Musiker im
kreativen Soundschaffungs-Prozess intuitiv improvisiert oder sich vor der Realisierung Konzepte
ausgedacht hat, ist im Endeffekt ziemlich egal: Wichtig ist, dass das Ergebnis zu fesseln vermag.

Beide Positionen innerhalb des elektronischen Schaffensprozesses vereint der Franzose Lionel
Marchetti, Jahrgang 1967, der den Auftakt der Konzertreihe bestreitet. Marchetti ist als später
Vertreter der "Musique Concrète" - einer vom Franzosen Pierre Schaffer in den Fünfzigerjahren
begründeten Spielart der Avantgarde, die Samples und Umgebungsgeräusche mittels
komplizierter Bandschnittechnik und elektronischer Verfremdung zu Musikstücken verarbeitet -
mit komplexen Kompositionen wie etwa "Mue"(1992) und "La Grande Valée" (1996)
hervorgetreten. Andererseits improvisiert er mit großer Hingabe am modularen Synthesizer und
uralten Tape-Recordern im "quintetAvant", einem freundschaftlichen Zusammenschluss mit vier
anderen Musikern, die als "Band" in den vergangenen Jahren vielumjubelte Konzerte in
Frankeich und Deutschland gaben und mit zwei vorzüglichen Releases auf dem österreichischen
Vorzeigelabel "Editions Mego" vertreten sind.

Während Marchettis konkrete Kompositionen ein echtes Hör-Abenteuer sind - "Mue" zum
Beispiel verstört mit Klagelauten, spitzen Schreien, mysteriösen Geräuschen und viel Stille - ist
das "quintetAvant" leichter zu begreifen: Bandschleifen mit prägnanten Samples verdichten zu
nachvollziehbaren Klangschichtungen, die durch die begleitenden, warmen Analogsounds des
Synthesizers zu einem dicken Teppich verwoben werden. Die Vielfalt der Höreindrücke bei
gleichzeitiger Transparenz erzeugt Spannung, während der immer natürlich wirkende Klangfluss
schnell tranceartige Zustände hervorrufen kann.

Für das Konzert im Rahmen von "Environmental Sound Matter" wird Marchetti einen
hochinteressanten Einblick in seinen Klangschaffungsprozess gewähren: Mittels einer
"elektroakustischen Vorrichtung", bestehend aus präparierten CDs, Motoren und Radios und
natürlich jeder Menge Mikrofone und Lautsprecher, hat das Publikum die Möglichkeit, der
schrittweisen Erstellung von Sounds, die sich zu Kompositionen verdichten, beizuwohnen.

Eine Gelegenheit, die sich Musikinteressierte keinesfalls entgehen lassen sollten.



Walter Brantner



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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