steirischer herbst 2007
Falter Steiermark - 26.09.2007
No Theatre
Jedes eine Überraschung für sich: Die ersten drei szenischen Produktionen des steirischen herbst fallen ebenso ungewöhnlich aus wie unterschiedlich: kindliche Darsteller, alternde Tänzer, pure Bewegung. Kein Theater, wie man es hier kennt.

Irgendwie ist das ungerecht: Der steirische herbst eröffnet sein Theaterprogramm mit einer
Inszenierung, die Maßstäbe setzt, an die eigentlich keine andere Produktion herankommen kann.
Ganz eigene Maßstäbe. Tim Etchells, in Graz durch seine Zusammenarbeit mit Forced
Entertainment bekannt, stellt für "That Night follows Day" 15 Kinder auf die Bühne, die eine große
Publikumsbeschimpfung lostreten, nein: eher eine große Ansprache an die Erwachsenenwelt. Im
Chor, mit unglaublicher Präsenz. Den Text hat Etchells selbst verfasst, um ihn dann während der
Proben in intensiver Auseinandersetzung mit seinen jungen Darstellern zu erweitern und
anzupassen. Unterstützt hat ihn dabei Victoria Gent, die auch die nötige Erfahrung in der Arbeit
mit Kindern einbrachte. Entstanden ist eine große Rede an die großen Leute, eine Umkreisung
der Welt, wie sie den Kindern von Erwachsenen erklärt, gezeigt, verboten oder ans Herz gelegt
wird. Das ist komisch, berührend, musikalisch. Und nie fad. Was den Abend aber so
unvergleichlich macht, sind seine Darstellerinnen und Darsteller, die Selbstverständlichkeit, mit
der sie sich auf der Bühne bewegen, ganz ohne zu spielen. Nur in einer Szene - ein etwas
halbherziger Kindertumult auf der Bühne - wird ein wenig bemüht versucht etwas darzustellen.
Damit wollte Etchells wohl die Gleichförmigkeit des Abends brechen, den roten Faden der
Kinderrede kurz zerreißen. Und doch scheint es, als habe er mit der kurzen, scheinbar freien und
dabei erst recht gestellten Szene einen Wink geben wollen: Schaut mal, so hätte das auch
aussehen können. Stimmt.

Eine Antithese dazu gab's gleich am folgenden Abend: die niederländischen Baktruppen mit
dem zweiteiligen Programm "Do and Undo & Deli Commedia", das von der melancholischen
Komik intendierten Scheiterns handelt. Die älteren Damen und Herren plagen sich zunächst
ineinander verschlungen und verschränkt über die Bühne, kriechen, robben, schwitzen und
stöhnen, dass es eine Freude ist. Zum Running Gag wird die immer gleiche Handbewegung, mit
der zwei der Herren ihre angelaufenen Brillen abnehmen, am engen Trikot abputzen, wieder
aufsetzen und sich den Schweiß von der Stirn wischen. Licht, Sound und Rauch werden direkt
von der Bühne bedient. Den zweiten Teil leitet eine kreativ-dilettantische Musikdarbietung auf
selbstgebastelten Monochord-Instrumenten ein. Dann beginnen die nun in bunte Trikots
gewandeten Baktruppen ihre dem Tanz-Avantgardisten Merce Cunningham entlehnte
Choreografie, gleich einer Art Selbsthilfegruppe anonymer Ballettopfer hopsen sie lächelnd über
die Bühne des Festivalzentrums von The Theatre, freiwillig unfreiwillig komisch. Jedenfalls
ziemlich einmalig, zweimal schaut man sich das aber eher nicht an.

Besonders seltsam muss das Baktruppen-Spiel all jenen erschienen sein, die direkt davor im
Dom im Berg die "reportable portraits" von deufert + plischke erleben durften. Das war nicht zu
übersehen: Wer sich zu den avancierten Tanz-Meistern aus Deutschland verirrt hatte, ohne eine
ordentliche Portion Interesse an zeitgenössischem Tanz mitzubringen, durfte bei den Baktruppen
besonders gelöst lachen. deufert + plischke haben für die Uraufführung in Graz gemeinsam mit
ihrer Truppe fünf bewegte "Portraits" geschaffen. Jede Tänzerin und jeder Tänzer bringt ein
bestimmtes Repertoire an Bewegungen auf die Bühne, eine Art musikalisches Thema, das
konzentriert und erstaunlich präzise immer wieder variiert wird. Diese Themen füllen den leeren
Raum, der mit Stellwänden und Neon-Röhren eher bloßgestellt ist als dekoriert. Die
minimalistische Musik bildet dazu eine Art Teppich, einen durch wenige Akzente durchbrochenen
Bordun, auf dem die musikalische Sprache der Bewegungen aufbaut. Spannung entsteht vor
allem dann, wenn die fünf Einzelporträts sich scheinbar zufällig begegnen, wenn in wenigen
seltenen Augenblicken Kontaktaufnahmen - parallele Bewegungen, Reaktionen - stattfinden. Die
kalte Bühne wird dann plötzlich zu einer Welt, in der Einsamkeit erst deutlich wird, wenn es wider
Erwarten doch zu einer Begegnung kommt - zu einer kurzen, gemeinsamen Gegenwart, die sich
ebenso plötzlich wieder verliert.

Hermann Götz



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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