steirischer herbst 2007
profil - 17.09.2007
Schöner scheitern
Der Autor und Theatermacher Tim Etchells, Kopf des englischen Künstlerkollektivs Forced Entertainment, macht auch als Solist mit einfachsten Mitteln komplexe Kunst.

Vor sechs Jahren gastierte Tim Etchells mit einem Solo bei den Wiener Festwochen. Er hatte
Freunde gebeten, ihm Videos zu schicken, die er dann in "Instructions for Forgetting" zeigte -
oder auch nicht. Ein pornografisches Video etwa beschrieb er so detailliert, wie man es beim
bloßen Ansehen nie hätte wahrnehmen können - damit wandte er ein zentrales Prinzip der
nordenglischen Performancegruppe Forced Entertainment, deren künstlerischer Leiter er ist, an:
Am deutlichsten sieht man das, was man nicht sieht. Theater entsteht im Kopf der Zuschauer -
und deren Erwartungen lassen sich gut manipulieren. Forced Entertainment, 1984 gegründet,
sind begnadete Spielverderber: schlechte Witze, billige Kostüme und arrangiertes Chaos
gehören zur Grundausstattung. "Es ist viel spannender zu scheitern, als Erfolg zu haben", meint
Etchells auch in Bezug auf seine Soloprojekte: Auf der Homepage www.institute-of-failure.com
lädt er zum Nachdenken über Fehlschläge ein. Auf www.timetchells.com berichtet er über seine
zahlreichen Projekte.

Tim Etchells, Jahrgang 1962, ist ein Arbeitstier: Neben seinen Theaterarbeiten kuratiert er
Ausstellungen, dreht Videos, schreibt Bücher und entwirft Installationen. Für den steirischen
herbst hat er im letzten Jahr im Rahmen der Ausstellung "Protections" ein ganzes Gebäude ins
Grazer Kunsthaus gestellt: Im "Nothing Good House" lauerten überall surreale Alltagstücken -
wollte man den Notruf betätigen, erklang bloß Vogelgezwitscher. Als Autor geht Etchells etwa in
seinem "Dream Dictionary" (1999) Träumen nach, die der selige Freud noch gar nicht analysieren
konnte: Was bedeutet es, wenn man von einem Bankomaten träumt? Etchells erster Roman wird
2008 erscheinen: "The Broken World" will ein imaginärer Führer durch das Regelwerk von
Computerspielen sein. Wie so viele Engländer hat Etchells ein Faible für Listen und
Anweisungen. Auch sein jüngstes Soloprojekt, "That Night Follows Day", angeregt vom
steirischen herbst und einer der programmierten Höhepunkte des diesjährigen Festivals, besteht
aus Anweisungen. 17 Kinder zählen auf, was ihnen ihre Eltern auf den Lebensweg mitgeben: von
"You feed us" bis zu "You tell us that foreigners stink". Nicht nur aufgrund seiner strengen Form
erinnert der Text an frühe Stücke von Peter Handke. Aber Etchells liebt sowohl das Chaos als
auch das Scheitern: Es ist abzusehen, dass sich die Kinder auf der Bühne gegen die Gesetze der
Erwachsenenwelt nachhaltig zur Wehr setzen werden.




20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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