steirischer herbst 2007
tanz.at - 23.09.2007
Early Works und spätberufene Tänzer
Trisha Brown revitalisiert Arbeiten aus den 1970er Jahren, deufert+plischke verzwilligen sich und Baktruppen aus Norwegen wagen einen späten Einstieg in den zeitgenössischen Tanz

Early Works, TWQ, 21.09.2007. Reportable portraits, Do and Undo & Deli Commedia, steirischer Herbst, 23.09.2007.

Wenn Trisha Brown, Doyenne des Postmodern Dance made in USA, in ihrem Archiv kramt, dann ist das ein vergnügliches Unternehmen. Bei dem Gastspiel ihrer Company mit Werken aus den 1970er Jahren im Tanzquartier Wien, war nicht nur der formelle Experimentiereifer dieser Epoche, sondern auch die fröhliche Rückschau, die die Meisterin mit ihren TänzerInnen auf ihre frühen Werke warf, spürbar. Alle Stücke - außer „Floor of the Forest“, in dem sich zwei Tänzer in und aus den Kleidern schälend, die auf einer Seilkonstruktion aufgehängt waren, fortbewegten - waren vom musikalischen Minimalismus, der in dieser Zeit seinem Höhepunkt zustrebte, geprägt. Die TänzerInnen des Judson Church Theatre (nach dem Probensaal in der Judson Kirche benannt) folgten diesem Trend und übersetzten ihn in Bewegung. Trisha Brown tat das 1971 in ihrem legendären Solo „Accumulation“ (zu Musik von Grateful Dead). Eine Bewegung wird laufend wiederholt und bei jeder Wiederkehr minimal verlängert. Diese Spielerei machte der Tänzerin Sandra Grinberg offenbar riesigen Spaß, denn war seinerzeit die absolut ausdruckslose Mimik Grundbedingung der Postmoderne, so gewann diese Choreografie heute durch den Augenkontakt mit dem Publikum und das verschmitzte Lächeln der Tänzerin eine neue Dimension.
Wie ernst und streng Brown (und nicht nur sie, sondern alle ihre KollegInnen) ihre formalen Experimente nahm, wurde in „Group Primary Accumulation“ deutlich, bei dem vier TänzerInnen ganz in weiß gekleidet auf dem Boden liegend eine Bewegungsphrase in einer Endlosschleife aufbauten, die schließlich zu einer Drehung um 360 Grad führt. Präzise führen hier die TänzerInnen die Grundfiguren der Release Technik vor - die Bewegung entsteht aus der Entspannung, der Fluss ergibt sich aus dem Schwung, der nie forciert wird, sondern gerade so stark ist, wie es die Schwerkraft vorgibt. Einfach köstlich ist der „Spanish Dance“ zu einem Bob-Dylan-Song oder „Sticks“, bei dem sich fünf TänzerInnen sich abmühen, aus ihren fünf langen Stangen eine Linie zu bilden, die natürlich bei jeder Bewegung aus den Fugen gerät - die Absurdität dieser Übung fordert auch bei den TänzerInnen Lachkrämpfe heraus. Die Raumgestaltung - das Publikum befand sich mit den Akteuren auf der Bühne - war ideal für diese intimen Tänze, die noch heute (oder vielleicht erst heute?) so voller Humor und Lebendigkeit sind.
Das Publikum en gros sei ihr egal, soll Trisha Brown in ihren Anfängen als Choreografin gesagt haben, es genüge ihr, wenn sie ihre Arbeiten ihren Freunden zeigen könne. Dieses angebliche Statement fiel mir ein, als ich zwei Tage später in der Performance von deufert+plischke beim steirischen herbst saß, die sich ja seit ihrem Zusammenschluss vor sechs Jahren vorwiegend mit ihrem „Zwilling-Sein“ beschäftigen und daraus eine mehr als sperrige Ästhetik entwickeln, deren Konzepte sich nur wenigen Eingeweihten erschließen.
Dieses Problem kennt die Baktruppen aus Norwegen nicht. Im gerammelt vollen Theaterzentrum des steirischen herbst - einem Container auf dem Karmeliterplatz - zeigten die fünf Männer und zwei Frauen mittleren Alters, wie man tanzt, ohne es jemals gelernt zu haben. Im Durchschnittsalter von über 40 Jahren begann sich die Gruppe dem zeitgenössischen Tanz zu widmen. Ihr erster Streich waren eine Reihe von skurrilen Verknotungen, in denen sie sich schlangenförmig, ächzend und stöhnend (keineswegs gespielt) über die Bühne robben und dem sie den Titel „Do & Undo“ gaben. Für dramatische Effekte sorgten Bühnennebel und Mahlers „Adagietto“. Doch schon beim ihrem zweiten Tanzstück nahmen sie sich ein äußerst ambitioniertes Ziel vor: „ Deli Commedia “ von Merce Cunningham. Das Resultat ist verblüffend. Zwar sehen die sieben TänzerInnen genauso aus, wie man es von untrainierten Körpern erwartet - sie imitieren einfach die Schritte und Positionen aus Cunninghams Ballett, was einerseits urkomisch und andererseits in seiner Unbeholfenheit fast tragisch ist. Sie nehmen ihre Tanzaufgabe ernst und schwindeln nicht, denn sie scheinen das ungefähr halbstündige Ballett wirklich auswendig gelernt zu haben. Diese unverblümte Ehrlichkeit, mit der sie ihr Nicht-Können zur Schau stellen ist entwaffnend und gewinnt sofort die Sympathien des Publikums. Und was noch erstaunlicher ist: Cunninghams choreografische Handschrift ist trotzdem eindeutig zu erkennen.
Die Judson Church Gruppe integrierte in den 1970er Jahren immer wieder untrainierte TänzerInnen in ihre Stück. Es ging ihnen dabei nicht darum, TänzerInnen aus ihnen zu machen, sondern um die Bewegungsqualität untrainierter Körper. An den Mitgliedern der Baktruppen hätten sie ihre Freude gehabt.
Edith Wolf Perez



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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