steirischer herbst 2007
Der Standard - 22.09.2007
Parallele Störungen im Miteinander
Zweimal synchroner Tanz: Mathilde Monnier und der Künstlerzwilling deufert+plischke

Wenn sich zwei Vertreter der wichtigsten Positionen der französischen und der deutschen
zeitgenössischen Choreografie in ein gemeinsames Verhältnis setzen lassen, dann ist das
besonders spannend für die europäische Tanzszene: Mathilde Monnier und der deufert +
plischke. Monnier beschäftigt sich in "tempo 76" mit dem Phänomen des Synchrontanzens.

Und für deufert + plischke ist das Sich-Synchronisieren Grundlage für ein umfangreiches
Programm, das sie in ihren "reportable portraits" fortsetzen. Geboren 1959 in Mühlhausen im
Elsaß, begann Mathilde Monnier ihre Karriere als Tänzerin mit 19 Jahren bei Viola Farber, die in
den 1950er- und -60er Jahren mit Merce Cunningham und dem Franzosen François Verret
gearbeitet hatte.

Ihre ersten, vom Dadaismus inspirierten choreografischen Arbeiten entstanden 1984, ein Jahr
später gründete sie ihre eigene Company. Seit 1994 leitet Monnier das Centre Chorégraphique
National de Montpellier. Zu ihren wichtigsten Werken zählen "Pour Antigone" (1993), "Déroutes"
(2002) oder "Publique" aus dem Jahr 2004, in dem die renommierte französische Regisseurin
Claire Denis das schöne und eigenwillige Porträt "Vers Mathilde" drehte, in dem unter anderem
auch Monniers Zusammenarbeit mit dem Philosophen Jean-Luc Nancy dokumentiert ist.

Wenn sie sich nun mit der Synchronität im Tanz beschäftigt, dann nicht, um ein Revival dieses
im zeitgenössischen Kontext lange verpönten, wenn auch immer wieder zitierten Stilmittels zu
zelebrieren, sondern eher, um die Illusion dieses Unisono kritisch unter die Lupe zu nehmen.

Was im Showtanz und Ballett der Nivellierung des Individuums oder dem Betonen eines Motivs
dient, trägt ein zugespitztes Zeichenrepertoire in sich. Dieses wird in "tempo 76" umformuliert und
zur Musik von György Ligeti in Zusammenhang mit den Stimmigkeiten und Störungen im
gesellschaftlichen Miteinander gebracht. Für ein Miteinander haben sich der Choreograf Thomas
Plischke und die Theoretikerin, Regisseurin und Videokünstlerin Kattrin Deufert 2001
entschlossen.

Aus dem Label "frankfurter küche" wurde der "artisttwin" deufert + plischke. Die Idee, zwei
Identitäten synchron zu schalten, ist kein Gag, sondern ein konsequenter künstlerischer und
philosophischer Selbstversuch. Die Figur des Zwillings hat Tradition - vor allem in der bildenden
Kunst und Performance-Art: mit dem Twin Gabriel oder Bigert & Bergström, Christine & Irene
Hohenbüchler und anderen im Gefolge älterer Paare, vor allem Gilbert & George, Eva & Adele
oder Pierre & Gilles.

Auch in der Choreografie finden sich Künstlerpaare wie José Montalvo und Dominique Hervieu
oder Emio Greco und Pieter C. Scholten (EG | PC), die sich aber nicht in einer gelebten und
performativen Überlappung sehen, wie das deufert + plischke tun. Thomas Plischke hatte vor
2001 den höllenheißen Pfad eines gehypten Jungchoreografen genommen und war nach einer
ästhetischen Reorientierung zusammen mit Deufert sehr in Ruhe gelassen worden. Wohl
irrtümlich, denn der Zwilling arbeitete zwar verhaltener und mit einem Hang zur Melancholie,
dafür gelang es ihm aber, mit großer Sorgfalt private, politische und poetische Elemente zu einer
Investigation über Gender und Identität zu verbinden.

In "reportable portraits" arbeiten deufert+plischke mit dem Komponisten Hubert Machnik und
dem Fotografen und Bühnenbildner Hermann Sorgeloos zusammen: Fünf Tänzer befassen sich
mit Formen und Funktionen des (Selbst-)Porträts, mit fiktiven Autobiografien, Mythen und - dem
Terrorismus.


Helmut Ploebst



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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