steirischer herbst 2007
Die Presse - 24.09.2007
Der böse Markt und die liebe Wurzel
Steirischer Herbst. Um den fairen beziehungsweise eher den unfairen Handel und die Identität in der globalisierten Welt drehen sich die beiden großen Ausstellungen des Festivals. Ohne groß zu überraschen.

In seinem 40. Jahr scheint der "Steirische Herbst" endgültig vernünftig geworden zu sein. Das
ehemalige Avantgardekunstfestival mit internationalem Anspruch hat seine trotzige Midlifecrisis
überwunden, sich anscheinend endgültig mit einem Existieren in der Provinz abgefunden und gibt
sich daraufhin gleich derart abgeklärt, dass es einen fast schon wieder schreckt: "Nahe genug"
heißt sein durch und durch vernünftiges Motto heuer, das dem kleinen Sicherheitsabstand die
große Liebe erklären will.

Genau diese Vernunft aber verträgt sich meist nur ganz schlecht mit der Kunst - "Malt ruhig
weiter, aber verletzt euch nicht dabei", hat schon Martin Kippenberger - mit seinen Utopien dieser
Tage ebenfalls in Graz, im Kunsthaus, vertreten - diesen bösen Mittelweg auf den Punkt
gebracht. Und tatsächlich leidet ein Großteil der heutigen Kunstproduktion - in Graz und auf der
Welt - unter einer lähmenden Zahnlosigkeit.

"Wo stehe ich? Was bin ich?" fragt auch Thomas Hirschhorn eher scheinbar orientierungslos -
und antwortet sich selbst ideologisch dann doch recht eindeutig mit seinem "Concept Car", über
und über beklebt mit "Love and Understanding"-Futter. Das irre Gefährt ist das klare Prunkstück
der "Volksgarten"-Ausstellung im ersten Stock des Kunsthauses Graz, die uns in einer "Welt der
beschleunigten Globalisierung" weniger schmerzhaft auf unsere diversen kulturellen Wurzeln
treten, als sie lieber lieb tätscheln möchte. Dafür kriegen wir von Helmut und Johanna Kandl auch
Luftballons geschenkt, ganz gerecht in verschiedenen Sprachen bedruckt mit "Wir werden hier
leben und glücklich sein". Na klar.

Wer will schon lesen im Museum
So bedienen sich leider beide großen Ausstellungen dieses "Steirischen Herbstes" desselben
ideologischen Einheitsbreis, der künstlerisch und inhaltlich wenig Überraschendes an die
Oberfläche bringt. In der von Peter Weibel initiierten Ausstellung "Un/Fair Trade" in der Neuen
Galerie könnte man sich zwar noch auf immer wieder eingestreuten Computerterminals auch
über den neuesten Stand der Wissenschaft zu globalisierter Wirtschaft und fairem Handel
informieren - aber wer will in einem Museum schon lesen. Wobei man den Einleitungstext
trotzdem nicht versäumen sollte: Hier wird nämlich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass einen
in der Ausstellung nicht das übliche Turbokapitalismus-Bashing erwarten würde. Was zumindest
die weniger guten Menschen unter uns im Hinblick auf den Untertitel "Die Kunst der
Gerechtigkeit" doch neugierig machte. Denn wie langweilig politisch korrekte Kunst sein kann,
sah man heuer bereits im Arsenale auf der Biennale Venedig. Dort hieß es klar: Krieg böse. In
Graz ist es jetzt eben wieder einmal der globalisierte Markt. Da helfen auch alle Beteuerungen im
Vorfeld nichts.

Zumindest haben sich die Kuratoren von der aktuellen Biennale eine der schönsten Arbeiten
geholt, einen der aus hunderten Alu-Alkflaschenverschlüssen "gewebten" Wandbehänge des
Ghanesen El Anatsui, der einerseits auf eine aussterbende afrikanische Handwerkstradition,
andererseits auch auf die kulturell verwirrenden Textilhandelsverhältnisse von Afrika und Europa
hinweist. Denn was wir im Allgemeinen als "afrikanische" Stoffe und Muster wahrnehmen, sind
eigentlich re-importierte europäische, oft dänische Exporte.

Auch ein Star der gerade zu Ende gegangenen Documenta ist in der Neuen Galerie vertreten:
Romuald Hazoume, dessen zum Sinken prädestiniertes Flüchtlingsboot aus Ölkanistern zu einem
der meistfotografierten Kasseler Exponate zählt. In Graz zeigt er mit Haarteilen vermenschlichte
Ölkanister und das idyllisch wirkende Panoramabild eines Ziegenmarktes, zornig betitelt mit
"Better to Sell Meat than Men!"

Dieser Zorn ist es wohl auch, an dem viele dieser moralisch motivierten Arbeiten leiden. Er führt
nicht "nahe genug", sondern zu nahe, um kritisch sein zu können. Inhaltlich meist noch ins Vage
zurückgenommen, werden sozialkritische Vorwürfe und Probleme, die wir aus Debatten meist
schon seit Jahren kennen, einfach nur durch künstlerische Konzepte verbrämt verdoppelt: Etwa,
dass wir in Österreich keine Paradeiser aus - sagen wir - Timbuktu kaufen sollten, sondern lieber
vom Bauern nebenan. Wie das - visualisiert durch Sandstraßen am Boden - etwa beim
Milchhandel in Nigeria funktioniert. Der in Öl gemalte "Hedge Fund Trimmer" mit Sense auf der
Weide ist vielleicht einen Witz wert, aber im Endeffekt zahnloser als der affirmativste Cartoon
einer guten Börsenzeitung. Und die Wandlung des Künstlers zum Zuhälter, der für 500 Dollar ein
Date mit der eigenen Ehefrau im Second Life anbietet, ist einfach nur platt.

Die Tendenz der Ausstellung schlägt also, anders als angekündigt, eindeutig in die gewohnte,
bereits bestens ausgehackte Kerbe. Zumindest sind auch einige der besten dieser Hacker
vertreten: Klaus Staecks Anti-Kapitalismus-Plakate sind seit den 60er Jahren Ikonen. Das mit
Bohnensuppe gemalte Porträt Che Guevaras von Vik Muniz reißt einen schon rein materiell aus
der Lethargie der Vorhersehbaren. Ebenso wie der zwar allseits bekannte, aber in seiner
Radikalität immer wieder schockierende Zugang von Santiago Sierra, der in Kuba Männer fürs
Onanieren vor der Kamera bezahlte, einen Bettler aus Mexiko City für nur einen Tag nach
Bremen, zur Besichtigung einer Luxusauto-Fabrik fliegen lässt. Oder Drogensüchtigen für einen
Schuss Heroin einen Streifen in die Haare rasiert. Das ist so knallhart, dass einen die Kunst
Schauern macht, auch vor einer allzu bekannten Realität.



Almuth Spiegler



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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