steirischer herbst 2007
Frankfurter Allgemeine Zeitung - 13.10.2007
Denk dir was im Altenheim
Satzfetzen in Schnabeltassen: Gerhild Steinbuchs "Verschwinden" in Graz beim "steirischen herbst" uraufgeführt

Zu Beginn sitzen die älteren Herrschaften fröhlich schwatzend und vor  sich hin summend auf dem schräg hochfahrenden Podest, das als Bühne  dient. Aber schon werden sie hinauskomplimentiert, um auf der Galerie  Platz zu nehmen. Das ist bereits der erste Hinweis, um die  rätselhaften Vorgänge im Probensaal des Grazer Opernhauses eventuell  entschlüsseln zu können - es scheint um den Generationenvertrag zu  gehen. Wie viel Alter verträgt eine Gesellschaft im Jugendwahn?

Zumindest ist dies die Hauptfrage, die der Regisseur Roger Vontobel  aus dem fragmentarischen Stück von Gerhild Steinbuch "Verschwinden  oder Die Nacht wird abgeschafft" beim Festival "steirischer herbst"  destilliert. Nicht umsonst fordert die Autorin im Vorwort allfällige  Interpreten ihres Stoffes auf, sich selbst etwas auszudenken.

Vontobel gelingt es immerhin, eine halbwegs zusammenhängende  Geschichte zu erzählen. Darin geht es irgendwie um den Clan von  Heinz. Dieser steht im Wahlkampf, das erkennt man an dem Werbeplakat  für die Heinz-Partei, Slogan: "Ich passe auf Dich auf!". Seine Gattin  und Sohn Haimon machen notgedrungen auf heile Familie. Haimon ist mit  Lara zusammen, sie fahren gemeinsam auf Urlaub, aber sonst läuft  nicht viel. Laras Bruder Oed arbeitet als Pfleger im Altenheim und  stört Heinzens Ambitionen, denn dieser will die Alten abschaffen.  Später aber schwenkt er um, hat die Alten wohl als Wähler erkannt,  und lässt dann Oed wegsperren, der aus Mitleid seine Großmutter  abgemurkst hat. Jetzt passt also Heinz auf die Alten auf, ein  Verhältnis mit Lara wird angedeutet, aber sie macht sich am Ende mit  Haimon daran, die restlichen Insassen des Altenheims zu beseitigen.  Erfüllt sie damit das Vermächtnis ihres Bruders - oder verrät sie  ihn? Das mag sich jeder selbst ausdenken.

Neben einer gewissen Klarheit fehlt auch sonst einiges in dieser  surrealen Farce. Ein ums andere Mal versichern die Personen, wie froh  sie sind, "dass wir gehörn". Zusammen? Einander? Hierher? Man erfährt  es immerhin zähe hundert Minuten lang nicht. In Gerhild Steinbuchs Sprache vermisst man nicht nur Adverbien, sondern auch viel  wichtigere Satzteile. Von ihrem Ausgangspunkt, angeblich der  "Antigone" des Sophokles, bleiben nur der Name Haimon und Teile der  Familienkonstellation. Das Reduktive hat bei der 1983 geborenen  Autorin Tradition. So überlebte in "Kopftot" (2003, Uraufführung  Mainz 2006) vom Hamletuniversum nur Ophelia, in "Schlafengehn" (2006,  von Vontobel in Essen uraufgeführt) nur die Hülle eines Beziehungsgeflechts.

Die scheinheilige kleinbürgerliche Welt ist ihr Reibebaum, Vontobel  aber lockert die sperrigen Passagen durch den ebenfalls  klassisch-griechischen Vorbildern entlehnten Chor der Alten auf. Doch  es kommt ganz anders, der Chor hebt zu steirischen Weisen an, selbst  für den Andachtsjodler ("Djo-djo-iri") ist Platz. Weitere Kommentare  liefert "Der Alte", das wohl ursprüngliche chorische Element dieses  Dramas. Dazwischen dröhnt lautstark Musik herein, zum Liedgut von  Abba wird kopuliert, zu Björk Morgengymnastik getrieben, und das ist  nicht so komisch, wie es sich anhört.

Anrührend stottert Sophie Hottinger ihre Satzfetzen als Lara, und  geradezu liebevoll dreht sie den Alten die Krägen um. In verwaschenen  Bluejeans passt sie besser zu den Heinzen als zu ihrem Bruder Oed.  Diesen gibt Claudius Körber als prolligen Halbstarken in  Designerturnschuhen zum Pflegerkittel, zuletzt bis auf die Unterhose  nackt und blutbesudelt in seinem gläsernen Verlies, und kann nicht  fassen, was rund um ihn geschieht. Lieber behielte er seine Kopfhörer  auf, um sich mit Popmusik einzulullen. Das wird ihm freilich nicht  gestattet, also führt er die Oma aufs Sonnendach und erwürgt sie.

Der Haimon Dominik Maringers kommt als pubertierender Depp daher, der  eher die Zuneigung des Vaters als Laras sucht. ähnlich wie Lara  ausstaffiert, trägt er noch ein helles Sakko, aber auch ihm bleibt es  nicht erspart, sich zu entblößen, dann in Laras Unterwäsche und mit  blonder Perücke dem Übervater zu Willen sein zu wollen. Jener  Überheinz, sehr exaltiert von Dominik Warta angelegt, darf die meiste  Zeit seinen beigefarbenen Nadelstreifendreireiher anbehalten, selbst  beim Geschlechtsakt, bis auch für ihn die Zeit anbricht, in Slip und  Korsage seltsame Satzbruchstücke auszuspeien. Was das alles soll,  fragt man sich vergebens.

MARTIN LHOTZKY



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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