steirischer herbst 2007
Der Standard - 01.10.2007
Sex als globales Entwicklungsprojekt
Die Uraufführung von "Zwischen Knochen und Raketen" des Theaters im Bahnhof

Eine "edle Universum -Dokumentation", wie der Titel suggerieren mag, ist Zwischen
Knochen und Raketen natürlich nicht, auch wenn ihm - unter anderem - das Kasachstan-
Reisetagebuch eines Grazer Fotografen und "Archäozoologen" zugrunde gelegt ist. Der Beitrag
des Theater im Bahnhof zum steirischen herbst lässt an Skurrilität nichts zu wünschen übrig.

Auf einem abgemähten Kukuruzacker am Stadtrand von Graz blickt das Publikum von einem
Podium aus westwärts in die untergehende Sonne, während vorbeikommende Auto- und
Fahrradfahrer herauszufinden versuchen, was da gespielt wird: Boing Boing in der
unübersichtlichen Wohnung einer Pornodarstellerin - drei Ehemänner sind zugleich
angekommen und werden professionell bedient, eine Freundin hilft dabei.

Textsequenzen aus Christoph Grills Reisenotizen und Zitate aus dem (an My Fair Lady
angelehnten) Pornoklassiker The Opening of Misty Beethoven verbindet das Team (Dramaturgie:
Pia Hierzegger und Rupert Lehofer) mit Ironie unter der Devise Entwicklungsprojekt. Dazu kommt
der Sprachsound der Banalität, der allen TiB-Produktionen anhaftet - so rutschen die Schwindel
erzeugenden Überlegungen zum globalen Geschäft mit dem Sex leichter.

Dr. Seymour Love (Gabriela Hiti) ist als Pornodarstellerin so erfolgreich, dass sie sich als
Wohnung die ganze ehemalige Sowjetunion leisten kann. Darin verlaufen sich nicht nur ihre drei
Ehemänner, Viktor aus Österreich (Rupert Lehofer), Viktor aus Kanada (Jacob Banigan) und
Viktor aus Kasachstan (Pawel Permjakow), sondern auch ihre intellektuelle Freundin Geraldine
Rich (Elisabeth Holzmeister).

Bis alle einander begegnen und die Männer sich in der Republik des gemeinsamen Trinkens
verständigen, wird Beziehungslosigkeit als Normalität ignoriert und geschäftsmäßiger Sex
verabreicht, blitzen in der Banal- und Pornosprache manche ziemlich wahren Sätze auf, wird die
Identität der sowjetischen Nachfolgestaaten unter den uns geläufigen Stereotypen camoufliert
und der Blick wieder weiter nach Osten gerichtet, das Land der Japaner mit der Seele suchend.

Helmut Köpping führt Regie: Absurder Witz liegt im Spiel auf dem riesigen Acker. Die Sonne
sinkt punktgenau, der dreisprachige Text kommt aus dem Lautsprecher, die fünf Akteure sind
meist in der Ferne, laufen weite Strecken. Aber sie sind nah genug, um auf der Straße für
Irritation zu sorgen und so nach bewährter TiB-Manier das Umfeld als Mitspieler einzubeziehen.




Beate Frakele



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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