steirischer herbst 2007
Falter Steiermark - 19.09.2007
Hochprozentiges Theater
STEIRISCHER HERBST In seinem vierzigsten Jahr leistet sich das steirische Kunstfestival ein eigens entworfenes Festivalzentrum. "The Theatre" ist temporäres Theater, Festival im Festival und soziale Skulptur unter einem Zeltdach.

Die imposante Pestsäule mit der heiligen Dreifaltigkeit am Karmeliterplatz erinnert an den
schwarzen Tod. Noch beherrschender als die Pestsäule wirkt das Hauptquartier der steirischen
ÖVP, das den riesigen Platz ähnlich einer Trutzburg fast zur Gänze bestimmt. Gleich um die
Ecke wurde hier übrigens eines der schwärzesten Kapitel steirischer Geschichte geschrieben, als
im Jahre 1600 mit einer großangelegten Bücherverbrennung die Gegenreformation zu einem
wenig feierlichen Höhepunkt kam. Einer der wenigen Augenblicke übrigens, wo in Graz Dinge
von weltweiter Bedeutung passierten.

Jetzt soll hier wieder Bedeutendes passieren. Nachdem im vergangenen Jahr, zu Beginn der
Intendanz von Veronika Kaup-Hasler, das im Künstlerhaus eingerichtete Festivalzentrum des
steirischen herbst nicht die gewünschte Strahlkraft entwickelte, wurde heuer gleich ein neues
gebaut, mitten am Karmeliterplatz. Dessen Baumeister - der Performance-Künstler Mårten
Spångberg und der Architekt Tor Lindstrand - haben sich auch nach Kräften bemüht, die Aura
des Orts zu ignorieren. Die beiden Schweden haben vor einigen Jahren das lose
Künstlerkollektiv "International Festival" gegründet, das seitdem in der Tradition der Situationisten
europaweit Festivals mit Ideen, Kunstprojekten, Partys und Theorien versorgt. Oder wie
Spångberg es auf den Punkt bringt: "Es ist eine Mischung zwischen Architektur und
Performance." Dass sich gerade ein Performancekünstler und ein Architekt zu diesem
Unternehmen zusammengeschlossen haben, sieht Spångberg nüchtern: "Wir arbeiten beide mit
Raum und Zeit."

In ihrer Konstruktion am Karmeliterplatz findet man in Baustellen-Containern Büros und
Duschen. Eine bierzeltartige Plane gibt dem Theater Raum. Und ein Folientunnel - bekannt aus
der Praxis der Tomatenzucht - bildet das Foyer mit Barbetrieb. Die Bühne ist eben nur eine Seite
des Theaterbetriebs. Das gebaute Ergebnis ist unprätentiös geraten. Die Kargheit soll nicht
zuletzt die nicht vorhandenen Mitteln thematisieren. Für Spångberg und Lindstrand ist Kunst ein
sozialer Prozess. Das müssen die beiden immer wieder erklären, inzwischen wirken sie schon
etwas müde. Bereits im August wurde "The Theatre" über einige kleinere Events angekündigt.
Dabei wurden Kontakte geknüpft, Filme vorgeführt, DJs eingeladen, man trank Schnaps,
diskutierte über Kunst und schmiedete Pläne. Da haben die beiden leicht schrulligen und
humorvollen Künstler schon bewiesen, dass sie wissen, wie man Feste feiert. Auch wenn sie mit
ihrem Projekt die Kunst an sich verändern wollen, am meisten werden sie wohl selbst in
Mitleidenschaft gezogen. Aber auch andere: "Wir haben die Kollegen vom steirischen herbst
verändert und sie uns", sagt Spångberg. Aber nicht nur durch das Feiern. Über vierzig
behördliche Bewilligungen mussten herbst-Mitarbeiter für "The Theatre" einholen.
Gerade den lästigen Konventionen wollten die zwei Schweden nach Erreichen ihres Dreißigers
eigentlich entkommen. "Nur noch 45 Jahre. Es muss sich was ändern", erinnert sich Spångberg
an den Anfang ihrer Zusammenarbeit und den Ausbruch aus dem jeweils vorgezeichneten
Karriereweg vor mehr als einem Jahrzehnt. Er wollte nicht mehr mit irgendwelchen Auftritten, "an
die sich nach 50 Minuten kein Mensch mehr erinnern kann", von Festival zu Festival
weitergereicht werden. Und Architekt Lindstrand interessierte es nicht mehr, in einem weißen
Büro mit Faxgerät, Telefon und zwei anderen Architekten auf Engagements zu warten. Für beide
war "International Festival" ein Schritt vorbei an den Zwängen eines Business, in dem die
Projekte ihren Planer bestimmen und die Häuser ihre Benutzer. "The Theatre" will die Antithese
zum Theater als punktuell belebtem Veranstaltungsort und zu jeder Art von Kulturtempel
überhaupt sein. "Mit dem Geld, das für den Neubau eines Opernhauses ausgegeben wird,
könnten wir dieses Projekt hier 20.000-mal verwirklichen", hat sich Spångberg ausgerechnet.
Oder man könnte das Geld nicht in Repräsentationsorte, sondern in Kunstprojekte investieren.
Herkömmliche Kulturbauten seien dermaßen aufwendig, dominant und kostenintensiv, dass ihr
Programm unter einem unglaublichen Erfolgsdruck stünde, betont Spångberg. "Wie soll da etwas
Neues und Aufregendes entstehen?" Auch das Publikum glaube, in seinem Verhalten dem Ort
entsprechen zu müssen. Im "Theatre" hingegen soll beinahe alles möglich sein. Das Container-
Bierzelt-Folientunnel-Theater will zur Begegnung einladen. Hier sollen sich im besten Fall nicht
nur die immerselben Grazer Kulturjunkies treffen, sondern auch Menschen, die dem herbst für
gewöhnlich gar nicht oder eher reserviert begegnen. Den Anfang haben zumindest bereits einige
Kinder gemacht, die sich von der Konfetti-Ästhetik des Folientunnel-Foyers angesprochen fühlten
und ihrem Spieltrieb freien Lauf ließen.

Auf alle Fälle soll das Festivalzentrum eine Investition in die Zukunft sein. Außer den
Containern werden die beiden nach dem Festival alles mitnehmen. "Wenn wir das Theatre
woanders wieder aufbauen, kommt der steirische herbst mit. Man wird erfahren, dass die Sache
genau so in Graz gestanden ist." In London und Montpellier wird das "International Festival"
demnächst gastieren. Bis es so weit ist, müssen die beiden den steirischen herbst noch als
kulturelle Sozialarbeiter überstehen. Wahrscheinlich werden sie den Karmeliterplatz selten
verlassen. Vor allem wenn die Schar der von ihnen eingeladenen Künstler eintreffen und je nach
Laune in das Festivalzentrum eingreifen wird. Dann werden die beiden Hausmeister, Info-Point,
Ansprechpartner für Künstler und Party-Einheizer sein. Aber auch die - vom steirischen herbst
geplanten - fünf Theaterveranstaltungen werden sie begleiten, zusätzlich wird der von Künstler
Robert Jelinek gegründete und halbfiktive SoS-Staat sein Konsulat in einem der Container
eröffnen. Das dürfte anstrengend werden, mit Problemen rechnen die beiden jedoch nicht:
"Probleme existieren nicht für uns. Alles, was passiert, gehört dazu. Nur in der Malerei hast du
keine Probleme."

Hermann Götz und Tiz Schaffer



20/09 - 14/10/2007
steirischer herbst
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